Waldweg

Die Utsukushi sah nur zwischendurch von den Augenwinkeln aus zu der anderen Seite, ob er ihr denn nachgekommen ist. Das Rauschen des Flusses war nun doch schon zu laut und übertönte jegliche Schritte. So ging sie doch ein Stückchen weiter, als ihr sein Fehlen auffiel. Sie blieb stehen und sah warf den Blick ein Stück nach hinten. Er war doch nicht etwa in die Wälder geflüchtet? Unsichtbar machen konnte er sich ja nicht. Konnte nur sie. Dann sah sie ihn aber am Flussufer stehen. „Wie lange willst du noch warten?“ Sie sagte es leise, sodass er es wohl nicht über das Rauschen hinweg hören konnte. Aber Lippen lesen konnten die meisten Ninja. Und diese Frage war sogar von ihr aus gerichtet mehrdeutig gemeint. So war es am naheliegendsten, dass er mal endlich zu ihr rüber kam. Aber auch, wie lang er denn noch auf andere Dinge in seinem Leben warten wollte. Sie verschränkte ihre Arme und sah zu ihm rüber. Wartete auf eine Regung.

Len zögerte weiter, sah ihr nach. Also doch… Gut… Er wandte sich halb um, als sie dann doch stehen blieb. Also blieb er auch. Er konnte sie nicht verstehen. Und da er nie sonderlich viel auf den Unterricht gegeben hatte, der nicht mit vernichtenden Ninjutsu zu tun hatte, konnte er kaum den Wortlaut lesen, nur halbwegs zusammenreimen. Ich verstehe sie nicht! Und das war wohl ebenso auf zwei Ebenen zu deuten. Schließlich ließ er sich einfach fallen und tauchte kopfüber ins Wasser ein. Es war nicht besonders tief, sodass er sich mit den Armen abfangen musste, um sich nicht irgendwelche Blessuren zuzufügen – Pech gehabt! Glasscherbe. Hand drin. Süß.Trotz des pochenden Schmerzes in seiner Hand, blieb Len noch eine Weile im Wasser, schließlich tat das kühle Nass ihm doch irgendwie gut. Ich verstehe sie nicht…Hallte es erneut in seinem Kopf wieder. Und schließlich tauchte er auf, schnappte kurz nach Luft und schwamm schließlich ans Ufer, nur um sich dort zu setzen und die Scherbe aus seiner Hand zu ziehen. Er umklammerte das Handgelenk der rechten Hand und bemerkte, dass er zitterte. Nur, weil er kalt war – oder doch, weil er bereute?
Ich verstehe sie nicht! Was habe ich getan? Was habe ich falsch gemacht?
Schließlich riss er sich ein Stück vom Hemd ab, wickelte es sich um die blutende Hand und stand auf, um in ihre Richtung zu gehen. Nicht ohne einen gesenkten Kopf. Ich habe sie aufgehalten… Ihre Zeit vergeudet… Sie wollte doch nicht alt werden.

Er schien sie doch nicht zu verstehen. Aber was in aller Welt machte er da?! Er ließ sich einfach ins Wasser fallen. Er wollte sich doch nicht ernsthaft doch noch mal ertränken gehen…. Zutrauen tat sie es ihm. Nur langsam fragte sie sich, wie er na… wie lange war er denn schon Nuke? So genau hatte er ihr da noch nie eine Antwort gegeben. Aber Tatsache war, dass er – zumindest nach ihrer Meinung nach - doch wirklich selbstmordgefährdet war. Eindeutig. Sie ließ ihre Arme sinken und lief zwei drei Schritte zurück. Dann tauchte er aber doch wieder auf. Holte endlich nach Luft.
Sie blieb wieder stehen und sah zu, wie er ans andere Ufer kam. Schien sich sogar verletzt zu haben. „Du bist ja so doof…“, dachte sie eher laut und sah zu, wie er langsam auf sie zu kam. Yoko kam ihm entgegen. Beschleunigte ihre Schritte auf der letzten Distanz und holte mit ihrer Hand aus, um ihm eine zu klatschen (k!). Nachdem das getan war, griff sie mit der Hand nach seinem Arm, um ihn an sich zu ziehen. Zu umarmen (u!). „Du bist so ein Idiot.“, knurrte sie halbherzig. Und legte die andere Hand auf seinen Kopf. Wie bei einem kleinen Kind. Dass es so eine Geste war, machte sie nicht bewusst. Aber sie hatte sich in dem Moment wirklich Sorgen gemacht.

Len blieb schließlich stehen und wollte sich gerade entschuldigen, dass er mal wieder länger gebraucht hatte, bevor ihm die Worte im Hals stecken blieben, da sie ihm doch tatsächlich eine klatschte? Er hob die unverletzte Hand, um sie sich an die feurig-brennende Wange zu pressen und wich ihrem Blick aus. „Tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht habe“, brachte er dann doch seine Entschuldigung hervor und legte verblüfft den Kopf schräg, als Yoko ihn umarmte. Er ließ seine Wange los, um den linken Arm um sie zu legen und drückte sie an sich. Den rechten Arm ließ er dort, wo er war, schließlich wollte er ja nicht unnötig Stress einhandeln, indem er ihre Klamotten einsaute. Der Gedanke ließ ihn kurz schmunzeln. „Ach, mach dir doch keine Sorgen um mich“, sagte er schließlich und drückte sie ein Stück von sich fort, um sie ansehen zu können.
„Oder halt – weinst du dann?“ Er zwinkerte ihr halbherzig zu und legte dann seufzend seine Stirn gegen ihre.
„Verzeih. Ich bin mal wieder herzlos.“

Sie war überrascht, dass er die Umarmung sogar richtig erwiderte. Nicht nur zuließ, oder gar gleich wegstieß. Dann drückte er sie aber doch ein Stück fort und sie sah blinzelnd zu ihm hoch. Hatte während der Umarmung doch tatsächlich die Augen geschlossen gehabt.
Dann musste sie aber doch auflachen. „Nein, werde ich nicht. Tut mir leid, dass ich dich da mal wieder enttäuschen muss.“
Dann schloss sie aber doch wieder ihre Augen. War es doch mal etwas anderes. Angenehmes. Dennoch überwogen die sorgenvollen Gedanken noch. Vor allem wegen der Tatsache, dass er sich verletzt hatte. „Ach…seit wann so zärtlich?“ Sie konnte sich diese Frage einfach nicht verkneifen und schmunzelte ein wenig. Strich ihm kurz über den Kopf und drückte ihn anschließend wieder weg. Schlichen sich doch Gedanken in ihren Kopf, wie, dass sie keinesfalls mit dem irgendetwas anfangen wollte. „Steht der Plan Kumo immer noch? Dann müssen wir nämlich mehr in die Richtung." Sie drehte sich um und zeigte einfach in den Wald. Gut….es war sehr ungenau, aber insgesamt stimmte es. Irgendwo auf dieser Linie musste der Ort liegen.

Len grinste zurück und erwiderte: „Es war einen Versuch wert.“ Wäre ja aber auch zu einfach gewesen. Vielleicht sollte er sich mal ans Ende einer hohen Klippe stellen und nachdenklich hinabsehen. Aber nein, die Chance, dass sie ihn letztendlich runterkickte, war ihm zu groß. Er seufzte und streichelte Yoko einmal aufmunternd über den Rücken. „Ich habe doch gesagt, dass du dir keine Sorgen machen musst… Und das ist nichts. Ehrlich.“ Okay, für „nichts“ blutete es ganz schön. Und wehtun tat es. Aber gegen das Gefühl, mal etwas wirklich – endlich - richtig gemacht zu haben, kam der Schmerz eben nicht an.
„Seit wann? Lass mich nachdenken… Seit Rin meine Schwester ist“, antwortete er schließlich, ließ sie halbwegs los und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Aber bitte, mach dir keine Sorgen mehr. Das macht mir ja schon fast Angst.“ Len grinste sie noch einmal an, bevor er sie – fast schon schweren Herzens – wieder losließ. Was ist denn mit dir los? Vorgestern schläfst du noch mit Ayame, gestern schreist du Yoko noch an und heute…? Er verstand wohl nicht nur sie nicht.
„Kumo steht noch, Hölle ist momentan überfüllt“, gab Len zynisch zurück und zog schließlich aus seiner durchnässten Tasche eine Karte heraus. Die ebenfalls ziemlich nass war. Meine Schriftrollen… Oh Gott, ich hoffe, denen geht’s gut… Auch wasserabweisende Taschen waren nicht immer so vertrauenswürdig. Die Karte sah aber noch halbwegs in Ordnung aus. Feucht, okay. Aber in Ordnung. Er folgte ihrem Blick und sagte dann: „Kommt ungefähr hin.“ Die Karte wanderte zurück in seine Tasche und er warf Yoko einen schiefen Blick zu.
„Du bist ja nass…“

Sie seufzte leise auf. Las er doch einfach wieder ihre Gedanken. Gut, er konnte nichts dafür. Aber trotzdem. Gedanken waren für sie bisher einfach etwas Persönliches gewesen. Etwas Unantastbares.
Und doch wünschte sie sich gerade, dass sie es auch tun könnte. Was da gerade in seinem Ko-. Stopp! An was in Gottes Namen dachte sie da gerade? Sie dachte doch nicht gerade ernsthaft direkt über seine Person nach?
Da kam es ihr gerade recht, dass er sie wirklich wieder losließ. Verwirrung…..ich schieb’s einfach mal darauf, dass ich ihn als kleines Kind ansehe und deshalb so freundlich bin. Ja genau. Was sollte es sonst sein? Dass er ihr wieder eine Antwort mit Rin gab, war inzwischen auch schon eine gwisse Tagesordnung geworden. Dachte er wohl nur an seine kleine Schwester. Wobei sie der Gedanke wieder leicht aufatmen ließ.
„Glaub mir, nicht nur dir.“, antwortete sie auf dem Angst-haben. Wobei es bei ihr wohl wirklich ernst gemeint war.
Sie sah kurz zu, wie er sich an seiner Tasche zu schaffen machte. War doch ziemlich alles nass geworden.
Yoko sah an sich hinab. War es ihr doch gar nicht aufgefallen, dass sie nass geworden ist. Gut…hätte eigentlich klar sein müssen, so nass wie er ist. Aber auf so eine Konsequenz hatte sie wirklich nicht geachtet. „Bin’s inzwischen schon gewohnt. Nass durch Regen…Feuerwehr….einer dummen Aktion von dir.“ Sie legte ihren Kopf schräg und grinste ihn wieder an.
„Aber gehen wir. Vielleicht finden wir bis heute Nacht noch wieder eine Herberge. Oder einfach so einen schönen Platz, wo wir mal frühstücken können.“ Sie ging zwei Schritte, ehe sie noch einmal einen Blick über die Schulter warf, ob er ihr auch wirklich folgte.

Len behielt sie aufmerksam im Auge, schließlich konnte er so ihre Gedanken nicht lesen, wollte aber dennoch irgendwelche Gefühlsregungen erkennen. Ja, er war da schon fast zu neugierig – und als er sich selbst dabei ertappte, starrte er lieber angestrengt auf seine blutende Hand. Der nasse, weiße Stoff hatte sich bereits in ein wässriges Rot tauchen lassen.
„Hm?“ Er hob den Kopf wieder und grinste dann. „Stimmt. Wo du dir doch kurz vorher gewünscht hattest, ich wäre doch tot.“ Der Widerspruch lag auf der Hand und amüsierte ihn köstlich. Andererseits ging es ihm ja auch nicht gerade besser. Immerhin … er hatte sich nicht nur einfach umarmen lassen – neeein, er musste ja immer noch einen drauf setzten! Was ist denn bitte los mit mir?
Dann lachte er und sah sie entschuldigend an. „Tut mir Leid, ich versuche mich in Zukunft mit dummen Aktionen im Zaum zu halten“, antwortete er und strubbelte sich einmal selbst durch die nassen Haare, damit sie vielleicht ein wenig trockener wurden. Normalerweise hätte er sie dafür doch wieder angeknurrt… Wieso gibst du ihr Recht, hm? Dumme Aktion? Gut, dass du in eine Scherbe gefallen bist, das war ehrlich ziemlich dämlich. Aber sonst?
Len seufzte auf, von seinen eigenen Gedanken entnervt und zuckte dann mit den Schultern. „Meinetwegen. Ich wäre aber schon froh darüber, eine Person zu finden, die eine Nadeln und ‘nen bisschen widerstandsfähigen Faden besitzt“, murmelte er mit Blick auf seine Hand und folgte ihr mit leichtem Abstand. Irgendwie fühlte er sich gerade nicht in der Lage, neben ihr zu gehen, ohne eben doch wieder irgendetwas ziemlich Trotteliges anzustellen..

Erst als sie nun doch den normalen Abstand zu ihm hatte und ihn musterte – natürlich wegen der Wunde – fiel ihr auf, dass sein Hemd ja weiß war. Weiß und nass. Der Anblick ließ sie doch etwas schmunzeln. Sah dann aber wieder weg.
„Ah…hast du also wieder meine Gedanken gelesen. Hm… sorry.“, entschuldigte sie sich murmelnd und sah demonstrativ in eine andere Richtung. Entschuldigungen lagen der Utsukushi einfach nicht so. Da war anschreien und fertig machen doch viel einfacher.
Nun musste sie aber auch die Ohren spitzen. Er entschuldigte sich ebenfalls? Irgendetwas lief heute schief. Würden sich doch sonst nur wieder bekriegen. Würden ausgelaugt und blutend am Boden liegen. Okay…er blutete, aber das war ja nicht ihr Verdienst. War nicht einmal seine Schuld. Einfach nur Pech. Wobei er natürlich auch einfach übers Wasser laufen hätte können. „Schon in Ordnung. Wirst du eh nicht.“ Ein schiefes Grinsen zierte ihr Gesicht. Manchmal musste man einfach dumme Sachen tun.
Sie schüttelte ein weiteres Mal ihren Kopf über ihre Gedanken und hörte zu. Und da meinte er eben noch, dass da nichts wäre. Es nicht schlimm war… Sie seufzte und blieb stehen, um aus ihrem Rucksack Desinfektionsspray und Mulbinde herauszuholen. „Komm mal her. Bevor du an Blutvergiftung stirbst.“, wandte sie sich trocken an ihn. Wäre es doch wirklich Ironie des Schicksals, wenn so etwas passierte.

Len fing ihren Blick auf und sah sie kurz fragend an. „Was grinst du so?“ Er legte den Kopf schief und musterte sie noch kurz, bevor er schließlich mit den Schultern zuckte. „Ist ja kein Ding. Ist ja immerhin meine Schuld, dass ich eine unerträgliche Person bin.“ Womit er ja Recht hatte, denn er entschied sich ja dafür, irgendetwas zu tun oder zu sagen. Nur sollte er manchmal eben aufpassen, was genau er denn tat. Im Nachhinein ist man immer schlauer…
Len lächelte, etwas ratlos, zurück und meinte: „Danke in das Vertrauen in mein rationales Denkvermögen.“ Bevor er schließlich zu ihr herübertrottete und die Hand hob. Jetzt konnte es ernst werden. Desinfektionsspray, dachte er sich weinerlich. Er hatte schon öfter Erfahrung mit diesem Burner – im wahrsten Sinne des Wortes – gemacht. Und immer tat das Zeug scheußlich weh, mehr noch als die normale Verletzung.
„Ich sterbe schon nicht so schnell“, murmelte Len seufzend und sagte noch: „Aber denk dran… Sobald du meine Hand fasst, kann ich deine Gedanken wieder hören.“
Und irgendwie hatte er so ziemlich Angst davor. Keine Lust auf Vorwürfe. Keinen Nerv, zu hören, wie sehr sie ihn für einen Schwachkopf hielt. Seit wann gibst du denn bitte etwas auf ihre Meinung?
„Dauernd verarztest du mich… Willst du eine Festanstellung?“, versuchte Len die Stimmung ein wenig zu lockern. Aber irgendwie machte es ihn nur noch deprimierter. Seitdem er mit ihr reiste, war er dauernd verletzt. Wow. Super.

„Mir ist nur aufgefallen dass du doch ein Kerl bist.“, antwortete sie ihm grinsend. Und das war wirklich in etwa das, was sie gerade dachte. Wobei sie sich nun sicher war, dass er ihr das die nächste Zeit noch unter die Nase reiben würde.
„Wärst du so unerträglich, hätte ich dich schon längst niedergemetzelt… oder wäre zumindest gegangen.“ Halt, Yoko. HALT! War das schon wieder so was wie ein Kompliment? Ich wird mir bald noch den Kopf in irgendeine Wand rammen., brummte sie in Gedanken. Es war aber doch wirklich alles zum verrückt werden.
„Bitte?...“, erwiderte sie mehr fragend, da sie (haha) mal wieder nicht genau wusste, was er nun mit rationales Denkvermögen meinte.
Als er zu bei ihr angelangt war, schüttelte sie den Spray. Hatte sogar zweierlei Gründe. So wusste sie, wie viel noch drin war – ob sie also sparsam umgehen musste – und das Mittel war wieder schön vermischt. Konnte ja passieren, dass sich ein Stoff abgesetzt hat. War zwar unwahrscheinlich bei einem Desinfektionsmittel, aber immerhin reden wir hier von Yoko.
Sie hielt noch einmal kurz inne. Hatte das Gedankenlesen für den Moment wieder vergessen. „Dann sing ich einfach in Gedanke. Dürfte also keinen von uns wehtun.“ Sie grinste wieder schief und tippte mit ihrem Zeigefinger auf seine Stirn. „Stell dir mal eben ein richtig nettes Gewitter vor und denk nicht an die Hand.“, meinte sie zu ihm und begann selbst gedanklich ein Liedchen zu trällern. Beginnend über die blühenden Blümchen im Frühling. Sie nahm seine Hand und wickelte den dürftigen Verband, gemacht aus seinem Hemd, ab. Danach riss sie ein Stück von der Mulbinde ab, um das Blut so zu entfernen, dass man den Schnitt auch wieder erkennen konnte. Sprühte sie ein – hoffte, dass er dennoch ruhig blieb und wickelte den Verband um seine Hand. „Ah…halt es mal eben fest.“, sagte sie zu ihm und ließ nach ein paar Sekunden die Stelle los. Sie hatte die Klammer vergessen. Was waren die auch so klein. Sie griff tief in den Rucksack. Sind die doch tatsächlich da nach unten gerutscht. Aus der Packung fischte sie sich eine heraus und befestigte somit den Verband. Musste sich während des Berührens an das singen erinnern und war bei dem Herbst angelangt, als sie ihn letztendlich ganz los ließ.
„Und um deine Frage von vorhin zu beantworten… Ich denke wohl eher nicht. Hab noch nicht mal einen offiziellen Erste Hilfe Kurs belegt.“ Sie grinste leicht und machte ihren Rucksack wieder zu, um ihn wieder aufzusetzen.

Verblüfft stand Len eine Weile nur da und starrte sie ungläubig an. Im Ernst?... Das hätte er ihr ja gar nicht zugetraut. Dass sie auf diese Idee kommen würde. Aber! Es machte ihn unwahrscheinlich glücklich, sodass er einfach nur zurückgrinste und nichts sagte. Du wirst in letzter Zeit auch immer einfacher zufrieden zu stellen, Len…, dachte er sich, machte sich aber nicht viel daraus.
Dann: „Oh, dann bin ich aber beruhigt. Danke.“ Niedergemetzelt am Boden liegen fand er manchmal nämlich gar nicht soo prickelnd und ging dem meist aus dem Weg. Dass er also nicht so unerträglich war, wie angenommen, war also ein ziemlich positiver Faktor. Er sollte sich den heutigen Tag einrahmen lassen, damit er ihn zuhause aufhängen konnte. Fail…
Er winkte ab, da sie ihn nicht verstand. Heute hatte er also keine Lust, auf ihrer Dummheit rumzuhacken. Wahrscheinlich hätte sie ihm dann aber auch eher die Hand abgehackt, als dass sie ihm helfen würde. Also war es ganz gut, dass er es auch bleiben ließ.
„Vorausgesetzt, du singst gut in Gedanken“, erwiderte Len trocken, und rieb sich mit der gesunden Hand über die Stirn, wo sie hingetippt hatte. „Und okay.“ Dass er sich nicht ganz ein Gewitter vorstellte, sondern sich eher daran erinnerte, wie eines seiner mächtigsten Jutsus Yoko eingehüllt und unsägliche Schmerzen verursacht hatte, erwähnte er mal eben nicht. Und sie ist trotzdem daraus hervorgekommen und hat mich fast umgebracht… Ihm lief ein Schauer über den Rücken.
Kaum berührte das Spray seine Verletzung, zuckte er kurz und kniff die Augen zusammen. Danach sah er angestrengt in eine andere Richtung und murmelte: „Verzeih. Was das angeht, bin ich nicht ganz so abgehärtet…“ Das brennt auch wie die Hölle!! Am liebsten hätte er mit seiner Hand herumgewedelt, um sie zu kühlen. Er unterließ es.
„Okay“, sagte er und hielt, wie befohlen, fest, was er festhalten sollte, bis sie es geschafft hatte, das Ding nett zu befestigen.
Er begutachtete das Meisterwerk kurz, ballte eine Faust – Schmerz lass nach! – und nickte dann. Passte gut. War in Ordnung. Würde helfen.
„Ach so…“, meinte er dann, „Schade.“ Er selbst hatte sogar einen Erste Hilfe Kurs erfolgreich bestanden! Aber der lag schon länger in der Vergangenheit und wer wusste schon, was sich nicht alles seitdem geändert hatte…
Schließlich nahm Len zögerlich Yokos Hand, drückte sie leicht und meinte, obwohl er streng ihren Blick mied: „Hab vielen Dank.“ Und, so schnell konnte man nicht gucken, da hatte er ihre Hand auch schon wieder losgelassen.
Du verhältst dich wie ein Kind… Dabei hat sie doch gerade erst festgestellt, dass du doch keines bist - sondern ein Kerl!

Irgendwie waren ihre Worte doch wieder ein Triumph für sie gewesen. War er doch sehr verblüfft gewesen.
Das Verarzten hatte er ja dann doch ganz gut durchgestanden. Wenn man von den zusammengekniffenen Augen absah. Aber das tat sie selbst ja auch immer noch. Und sie benutzte das Desinfektionsmittel sehr oft.
„Hast‘ doch ganz gut geschafft. Und hab ich dann einigermaßen gut gesungen?“, fragte sie ihn grinsend. Gut, sie konnte singen und wusste es auch. Aber nachfragen konnte sie ja trotzdem. Auch wenn sie keine ehrliche Antwort erwartete. Wäre ja dann sonst schon wieder ein geschenkter Punkt an sie. Oh…sie dachte wieder an die Punkte.
Seine nächste Geste verwirrte die Utsukushi doch ziemlich. Nahm er doch tatsächlich ihre Hand, drückte sie und bedankte sich. „Jetzt erinnerst du mich wieder mehr an ein Kind.“, erwiderte sie trocken. „Aber keine Ursache. War doch nichts besonderes.“, fügte sie mehr nuschelnd, als deutlich redend, hinzu.
„Na komm. Gehen wir weiter.“ Mit diesen Worten lief sie auch schon wieder in die vorhergesehene Richtung. Kumogakure…. Müsste schon ein ganz schönes Stückchen weg sein. Dieses Mal wartete sie auch nicht extra auf den Sanada. War sich doch sicher, dass er ihr folgen würde.

„Funktioniert. Ich wurde immerhin schon einmal aufgespießt. Da werde ich so etwas aushalten können. Und … keine Ahnung, ich habe nicht zugehört“, antwortete Len ehrlich und meinte es sogar ernst. Er hatte sich zu sehr daran erinnert, wie sie wie ein Monster aus der Rauchwolke herausgetreten war, um ihn niederzustechen. Niedlich…, dachte er sich trocken und zuckte mit den Schultern.
„Gut, wenn du meinst“, meinte Len nur ganz ungerührt, obwohl es ihm dann doch einen Stich versetzte. Da ist man einmal nett… und schon kriegt man auf den Deckel… Sie versteht eben doch nur Gewalt. Und er dachte daran, ihr mit seinem Katanaknauf einen überzuziehen und weiter zu gehen.
Len seufzte erleichtert auf. Okay, ich bin wieder normal. Und er freute sich wirklich darüber. Vielleicht gab es bald wieder einen Kampf? Und er konnte ihr zeigen, wie ein „Kind“ kämpfen konnte. Wenn sie dann mehr tot als lebendig am Boden liegen würde, würde er ihr keinen Blick mehr widmen und gehen… Egal, ob sie überlebte, oder nicht. So gefall ich mir besser. Pure Erleichterung.
Er sah ihr noch ein wenig hinterher, dachte daran, seinen Plan sofort in die Tat umzusetzen, ließ es dann aber bleiben. Es wäre sehr viel schöner, wenn sie ihm doch verfallen würde. Und dann erfülle ich meine Aufgabe und bringe sie zum Weinen… Ein leicht gemeines Grinsen bildete sich auf seinen Lippen, aber sie konnte es nicht sehen, schließlich ging er hinter ihr.
Du packst das.
Einen Moment zögerte er in Gedanken.
Rin versteht das sicherlich.

Die Utsukushi nickte kurz und lief nun ein Stück vor ihm her. Sie hatte seine Schritte ja gehört. Das reichte aus.
Für sie war es ein wirklich mehr, als nur eigenartiger Tag. Wurde sie erst mal unsanft geweckt. Hatte sogar einem Mädchen geholfen. Wobei sie es doch ziemlich infrage stellte. War es denn überhaupt nötig gewesen? In dem oberen Stockwerk war das Feuer noch nicht gekommen. Auch der Rauch hielte sich in Grenzen. Aber wer wusste schon, was ein verängstigtes Kind womöglich getan hätte. Ob es später doch runtergelaufen wäre und die Helfer das Feuer eben noch nicht unter Kontrolle hatten. Da stellte sie sich die Frage, ob sie es überhaupt geschafft hatten. So oder so ist sie nass geworden und musste dann selbst auf Len warten. Wer hatte die zehn Minuten also da überschritten?! Sie stieß kurz die Luft aus und zündete sich aus Gewohnheit wieder eine Zigarette an. Ihr Zippo funktionierte wieder! Aber das Stängelchen brauchte sie wirklich für die ganzen Gedanken. War ihr das singende schwarzhaarige Mädchen doch nicht entfallen. Irgendwie…hegte sie Wut gegen es? Dabei sollte sie mehr Mitleid haben. Hat der Blonde doch nur mit ihr gespielt.
Yoko musste schon eine schlechte Denkerin sein. Konnte man doch immer einiges an ihrer Mimik und Gestik ablesen. Wie sie gerade ihre Arme verschränkte, um somit mit den Fingern der rechten Hand auf dem linken Oberarm tippte. Sie zog wieder an der Zigarette und dachte weiter nach. Was war denn dann passiert? Sie überlegte…überlegte – oh…versuchte den Gedanken wieder zu vergraben. Er hatte sie geküsst. Wieso hat er das eigentlich getan? Wirklich nur, um sie zu ärgern? Stimmt ja! Er war der festen Überzeugung, dass sie in ihn verliebt war. „Hmpf.“ Aber das war sie bestimmt nicht!.... wie kam er überhaupt darauf? Sie dachte ja nicht so was wie: Er ist ja so niedlich. Ich liebe ihn!
Fast schon resigniert schüttelte sie den Kopf. Allerdings musste sie an den Kuss denken. An den mädchenhaften Kuss. Aber andererseits… so mädchenhaft war er doch auch wieder nicht. Er war einfach…sanft, zärtlich. Hatte die junge Frau in ihrer Jugend (haha) doch auch mit dieser Type von Mann zu tun gehabt. Wobei es dann eher die treuen waren. Die, die sich eine lange Beziehung erhofften.
Abermals schüttelte sie ihren Kopf und facepalmte. „Erinnere mich daran, mich bei Gelegenheit in einer Irrenanstalt einweisen zu lassen.“ ….Ich hatte eindeutig auch schon mal bessere Ideen, wie ich ein Gespräch anfange. Gott, bin ich blöde…

Len stiefelte ihr also hinterher, mal wieder in seinen eigenen Gedanken versunken. Er schmiedete einen Plan, feilte gedanklich an Ecken und Kanten und nahm gedanklich noch die Politur, um alle Unebenheiten auszugleichen.
Schließlich, als er sich sicher war, dass es früher oder später klappen könnte, hörte er mit seiner Aktivität auf, um sich schließlich wieder ihr zu widmen. Zwar war er nicht von der Richtigkeit seines Plans überzeugt, aber er hatte schon öfter Mädchen verarscht und ausgenutzt… Also warum nicht auch Yoko? Was machte sie so anders? Mit schief gelegtem Kopf musterte Len sie und bekam so nur ganz zufällig ihre ganzen Gesten mit, die verdeutlichten, dass sie selbst scharf am Nachdenken gewesen war. Mit wachsender Belustigung verfolgte er das Schauspiel und schloss schließlich zu ihr auf, als sie zu sprechen begann.
Amüsiert fragte er: „Nichts lieber als das, aber wie kommst du darauf?“
Anscheinend hatte sie wirklich scharf nachgedacht, viel Verschiedenes. Sicherlich interessante Themen. Ob sein Fauxpas von vorhin wohl auch zum Gedankengut gehörte? Sicherlich hatte es sie verwirrt, hatte Yoko doch so sehr unter Schock gestanden. Er lächelte in sich hinein. Verwirrung ist gut. Meist kann man diese ausnutzen und sich einen Vorteil daraus ziehen…

Sie sog die Luft scharf ein. „Willst du nicht wissen. Ist einfach eine Erkenntnis.“, antwortete sie kopfschüttelnd.
Dann versank sie wieder in ihren Gedanken. „Wo war ich denn stehen geblieben…“ sie tippte sich auf ihr Kinn und erinnerte sich wieder an den Kuss. Ok….ein weiteres facepalmen mit zusätzlichen Hand übers Gesicht ziehen ließ sie weiter springen. Sie hatte ihn ignoriert….wieso eigentlich? Hätte sie ihm nicht eigentlich eine in die Fre- oh pardon in sein schönes Gesicht schlagen müssen? Mit Nasenbruch und ausgeschlagenen Schneidezähnen? Das wäre doch eigentlich angemessen für diese Aktion gewesen. Immerhin kam sie von ihm! Und da sah sie ihn doch nicht als Kerl an. Halt, tat sie das denn jetzt eigentlich mal? „Hmmm….doof…“ Denn ja, sie tat es.
Aber sie hatte sich ja mit der Spinne in der Hose, und dem kalten Wasser an seinem Nacken gerächt. Wobei sie immer noch nicht wusste, was denn nun genau mit der Spinne passiert war. „Armes Ding…“ Es musste für Außenstehende schon ziemlich komisch wirken, wie sie Selbstgespräche führte.
Dann war sie aber auch schon an der Stelle gelangt, an der er trottelig einfach ins Wasser sprang. Warum hatte sie sich so große Sorgen gemacht? War sie doch der Meinung es zu bereuen ihn bei den gebotenen Gelegenheiten nicht getötet zu haben. Und dann dachte sie wirklich, dass er in dem Fluss ertrank? Wie naiv war sie denn eigentlich? Und wieso machte sie sich solche Sorgen?!
Sie klatschte sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. Das hab ich jetzt eindeutig gebraucht…
Wieder seufzte sie auf. Und überflog den Rest nur noch. Konnte sich einfach noch zu gut daran erinnern. An die Umarmung… an – oh sie war ja immer noch ein bisschen feucht. Sie zupfte ein wenig an ihrem Oberteil rum, um das Trocknen so vielleicht ein bisschen zu beschleunigen.

Nachdem Len ihr kurz zugehört hatte, zuckte er mit den Schultern. „Gut…, wenn du meinst… Ich werde es mir nachher aufschreiben“, sagte er leichthin und setzte seinen Weg fort. Nicht, ohne sie im Auge zu behalten. Schließlich gestikulierte sie weiter – und redete sogar. Der Eindruck, den sie hinterließ, war auf jeden Fall nicht allzu normal. Vielleicht war es ja wirklich eine gute Idee, sie in eine Irrenanstalt einliefern zu lassen. Andererseits hatte bestimmt jeder schon einmal laut gedacht. Es hielt sich meist in Grenzen, ganz im Gegensatz zu dieser Flut von zusammenhangslosen Informationen, die Yoko von sich gab, aber es trat durchaus auch mal außerhalb des Pferches von Verrückten und Psychopathen auf. Er hatte bestimmt auch schon einmal laut gedacht – und er redete ja gedanklich auch manchmal mit sich selbst.
Seine Gedanken verhedderten sich und er beließ es dabei, ihr einen schiefen Blick zuzuwerfen. Er sollte nicht allzu lange darüber nachdenken, was andere nachdachten. Schließlich war das privat – und Rin und er hatten sich geeinigt, dem Rest so viel Privatsphäre zu lassen, wie ihnen möglich. Und trotzdem hatte er das unbändige Verlangen, einfach mal die Hand auszustrecken und zu spionieren. Untersteh dich…, warnte er sich selbst – und fühlte sich in seiner Theorie eindeutig bestätigt.
Ein weiteres Mal beobachtete Len sie gespannt und sah Yoko fast schon schuldbewusst an. „Sollen wir eine Pause machen und du ziehst dich um? Oder wir machen ein Feuer und trocknen ein wenig… Nicht, dass du krank wirst und die Kumoninjas dich in den nächstbesten Kerker schleifen.“
Gut so, heuchele Interesse und Sorge. Gib dir Mühe. Dabei war er sich nicht einmal sicher, ob er seinen Plan auch wirklich planmäßig ausführte, oder es doch ernst meinte…

„Ich wär dir zutiefst verbunden.“, meinte sie noch trocken auf das Thema, ehe sie die nächsten 15 Minuten wieder geschwiegen hatte. Ja, sie dachte ein wenig langsam…
Erst als er sie wieder ansprach, sah sie zur Seite. Erschrak und sprang einen Satz zur Seite. Hatte sie es doch gar nicht gemerkt, dass er neben ihr herging. Sie legte ihre Hand auf Herzhöhe und atmete tief durch, ehe sie wieder zu ihm aufschloss. „Erschreck mich nicht so.“, brummte sie. Irgendwie war sie gemeinsames reisen nach der ganzen Zeit immer noch nicht ganz gewohnt.
Dann musste sie aber blinzeln. Er hatte ihr ja eine Frage gestellt. Was war das denn gleich noch einmal für eine….ja genau! Er mobbte sie wieder…. Aber irgendwie war es ihr sogar egal. „Gehen wir noch ein Stückchen, bis wir einen schönen Platz gefunden haben. Dann können wir endlich mal frühstücken…“ Hatte er sie doch tatsächlich wieder an ihren Hunger erinnert, der sie schon seit heute Morgen plagte und sie nun schon seit ein paar Stunden hätte essen dürfen.

Len lächelte schief, sagte aber nichts mehr. Schließlich stand ja fest, dass er sie daran erinnern würde, dass sie sich bei Gelegenheit einlieferte. Aber wie ziehe ich dann meinen Master-Plan durch? Die Frage kam reichlich spät. Aber nun ja, darüber konnte er sich später Gedanken machen. Jetzt galt es erst einmal, sich selbst zu beschäftigen, während sie völlig vertieft in ihre eigenen Gedanken war.
Eigenartig. Sie kann so viel nachdenken? Ohne dass ihr Kopf platzt? Und… warum schweigt sie? Komischerweise fühlte er sich nun genauso verarscht, wie sie sich wohl gefühlt haben musste. Ich muss daran denken, dass ich ihr das nicht noch einmal antue. Kurz hielt Len innerlich inne – und fügte rasch hinzu: Schließlich muss sie mir verfallen, bis zur letzten Faser ihres Körpers. Da kommt es schlecht, wenn ich sie einfach anschweige…
Dann… sie sprang vor Schreck doch glatt zur Seite und somit außer ‚Gefahr‘, erntete dafür aber nur einen schrägen Blick seitens Len, da er nicht ganz nachvollziehen konnte, warum sie so überreagierte. Wahrscheinlich muss sie sich völlig aufs Denken konzentrieren und verdrängt ihre Umwelt…
„Ich versuch’s in Zukunft. Aber das war nicht mit Absicht“, erinnerte Len sie und zog noch einmal nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Sie muss ja wirklich eine harte Nuss zu knacken haben, wenn sie es solange schafft, einfach zu schweigen…
Nachdem er ihr brav zugehört hatte, zuckte er abermals mit den Schultern. Wie gut seine linke Schulter doch langsam wieder funktionierte, selbst nachdem sie mit ihren spitzen Hacken hineingepiekt hatte!
„Soll mir recht sein“, murmelte er. Es hatte kein gutes Frühstück gegeben, nur einen Apfel für ihn und gar nichts für Yoko. Und sie waren schon eine ganze Strecke gegangen. Also war es eine glänzende Idee. Vielleicht sollte sie öfter denken.

Yoko nickte fast schon dankbar. „Ich nehm dich beim Wort.“ Gut, sie nahm immer alles wörtlich….wusste ja inzwischen sogar er, aber zwischendurch musste sie es doch wieder sagen. Als Auffrischung sozusagen.
Sie lief noch ein Stück schweigend neben ihm her. Sie dachte zwar nicht mehr wirklich nach, außer den üblichen Kleinigkeiten. Wie, dass der Boden hier doch ziemlich viele, nervtötende Wurzeln hatte, über die man stolpern konnte, aber mehr wirklich nicht.
Die Beiden kamen an eine etwas lichtere Stelle. Musste es wohl einen Sturm gegeben haben, da einige Bäume umgestürzt waren. Aber perfekt zum Rasten. Sie ging zu einem der Baumstämme und trat ihn mit dem Fuß. Nicht, dass er schon so morsch war und zusammenkrachte, wenn sie sich darauf setzte. Aber es passte und sie nahm Platz, nachdem sie ihren Rucksack abgenommen hatte.
„Ist doch ein ganz netter Platz hier.“, meinte sie und stützte sich mit den Händen ein wenig weiter hinten ab, um so leichter zum Himmel sehen zu können. Die Sonne schien noch immer recht stark auf die Erde herab und sie schloss einen Moment die Augen. Gähnte und streckte sich, ehe sie sich aus ihrem Rucksack eine Rolle herauszog. Essen beschwor. Schließlich biss sie herzhaft in eine Semmel mit Käse, als ihr Magen in dem Moment auch wieder laut knurrte.

„Wie immer“, nickte Len ab und setzte den Weg fort. Und Yoko schwieg weiter. Dabei fragte er sich, worüber sie denn solange nachdenken konnte, wo sie es doch sonst kaum tat. Jedenfalls in seinen Augen. Dementsprechend musste er sich ja ein neues Thema suchen, mit dem er sich beschäftigen konnte. Schließlich, nachdem ihm nicht sonderlich viel Interessantes eingefallen war, hob er die rechte Hand und besah sich den Verband. Er war gut angelegt, dafür, dass sie nie einen „offiziellen Erste Hilfe Kurs“ abgelegt hatte. Gibt es inoffizielle Erste Hilfe Kurse? Aber er schweifte ab. Es hatte sich schon wieder ein Blutfleck auf dem weißen Verband abgezeichnet, aber nicht so stark, als dass er sich Sorgen machen müsste. Dachte er. Hoffte er.
Schließlich blieb sie stehen und nahm auch auf einem Baumstamm Platz. Len sah sich kurz um und musterte die Stelle, aber es war recht angenehm. Die Sonne schien hier hinunter, wie, als wären keine Bäume in der Nähe – ja ne, ist klar, ist ja auch eine Lichtung – und konnte also ihre vernichtende Kraft dazu verwenden, um sie Beide zu trocknen. Er zog eine Decke aus seiner Tasche hervor und faltete sie halbherzig auseinander, nur um sie auf den Boden zu schmeißen und sich darauf zu setzen. Und anschließend begann er damit, seinen Proviant nach etwas Leckerem zu durchforsten.
Schließlich entschied Len sich für eine halbe Honigmelone mit Schinken. Heute lebst du wohl gesund, wie? Als Ausgleich für deine zwei Ausrutscher? Damit meinte er die Zigaretten, die er bereitwillig angenommen hatte.

Die Utsukushi sah ihm eine Weile schweigend zu, wie er es sich auf dem Boden bequem machte. „Honigmelone? Als Ausgleich für die Zigaretten, wie?“, meinte sie lachend. Nein…sie konnte keine Gedanken lesen. Aber das Prinzip hatte sie ja mit den Äpfeln. Ihre heißgeliebten knackigen und vor allem vitaminreich gesunden Äpfeln. Sie grinste ein wenig und stand mit ihren Sachen auf, um sich mal ganz dreist wie sie war zu ihm auf die Decke zu pflanzen.
Sie zog ihre Füße zum Schneidersitz, um möglichst wenig Platz in Anspruch zu nehmen und kaute weiter auf ihrer Semmel (!!) herum.
Wieder fiel sie ins Schweigen. Wusste doch einfach nicht, was sie sagen sollte. Außer es mal laut auszusprechen. Sie schluckte ihren Bissen runter und beugte sich zu ihm, um mit Zeige und Mittelfinger gegen die Schläfen zu tippen. „Irgendwie fällt mir nichts ein, worüber ich noch mit dir plaudern könnte.“ Solang ich keine Ahnung hab, was da in dem Schädel vor sich geht., fügte sie gedanklich hinzu und ließ wieder von ihm ab. Kaute fast schon ein wenig verzweifelt auf ihrem Essen rum. „Schweigen ist Silber, reden ist Gold.“, sagte sie schließlich noch fälschlicherweise. Wobei es auch einfach ihre Ansichtsweise. Oder die von Theodor Heuss ‚Der unbequeme Staatsbürger ist das Ideal der Demokratie‘
Nur zu doof, dass es in der Ninjawelt kaum Demokratie gab und bei einer solchen müsste sie sich ja womöglich an noch mehr Gesetzen halten.

Er starrte einen Moment seine Melone an – und fühlte sich so richtig über den Tisch gezogen, während er langsam auf dem Bissen weiter kaute, den er gerade im Mund hatte. Schinken zog sich immer, war ziemlich schwierig zu zerkauen…
„Gut möglich. Oder ich mag sie einfach leiden“, antwortete er langsam. Wer konnte nochmal Gedanken lesen? Rin und ich, oder Yoko? Oder war es so einfach, seine Prinzipien zu erraten? Wobei, er hatte es sich ja schließlich erst im Nachhinein gedacht… Misstrauen kam auf, aber er gab sich Mühe, sich nicht allzu verdächtig zu verhalten.
Kurz hob Len den Kopf und sah seine Begleitung forschend an, bevor er auch schon ein Stück zur Seite rückte, um ihr ein wenig Platz zu lassen. Ich könnte das Ding auch ganz ausbreiten…, schoss es ihm durch den Kopf. Aber das ist zu viel Arbeit…
Er rieb sich die beanspruchten Stellen und hob fragend eine Augenbraue. Durch die Berührungen waren ihm immer Bruchstücke ihrer Gedanken zu Ohren gekommen, sodass er sich den ganzen Satz zusammenreimen konnte.
„Nun…“, begann er, nachdem er endlich die erste Scheibe Schinken heruntergeschluckt hatte, „… ich dachte mir gerade das, was du aussprachst. Also… Ausgleich von Melone und Zigaretten.“ Und das entsprach ja schließlich auch der Wahrheit. „Aber ich wüsste nun spontan auch nicht, worüber wir reden könnten…“ Auch noch nach so einer langen Zeit, in der sie einfach geschwiegen hatten. Was für alte, ausgeleierte Themen konnte man denn noch einmal ausrollen? Dummheit? Kämpfe? Blut, Eichhörnchen, Zelte, Flüsse, Verletzungen, Schmerz…? Ihm fiel kaum etwas Anderes ein und er sah direkt noch einmal zu seiner Hand, in der bei jedem Herzschlag immer noch ein dumpfer Schmerz pulsierte. Nachdenklich beschäftigte er sich dann weiter damit, seine Melone zu essen.
„Und jetzt denke ich darüber nach, worüber man reden könnte…“ Das war ja immerhin auch die Wahrheit! Wenn auch nicht die ganze, schließlich dachte er auch über Vergangenes nach.
Na komm schon, oder denkst du, sie verliebt sich wirklich in dich, wenn du nicht mir ihr redest…?
Er seufzte leise und rieb sich mit dem Handrücken der rechten Hand einmal über die Augen. „Nun ja… Steht eigentlich dieses eine Angebot von vorhin noch?“ Gewagt. Gewagt, aber gut. Hoffte er zumindest.

Es dauerte, bis der Sanada auf diese eher gescherzte Frage antwortete. „So? Na dann.“ Sie zuckte mit den Schultern. Glaubte es ihm mal wieder und holte sich Orangensaft heraus. War schon etwas unheimlich leckeres zwischendurch! Trank ein paar Schlucken aus der Flasche. „Auch?“, fragte sie kurz und knapp und stellte sie ab, sodass er sich bedienen konnte, würde er denn wollen.
„Hm….so meinte ich das nicht. Mehr, was du prinzipiell denkst. Nicht gerade auf das hier bezogen.“ Sie legte ihren Kopf schräg und lächelte ihn an. Hörte ihm zu. Nickte. Aß weiter. Irgendwie war die ganze Situation so ungewohnt. So ungewohnt still, gar schon ernst!...
„Wie geht’s denn deiner Schulter?“, fragte die Utsukushi schließlich. War er da am gestrigen Abend noch ziemlich empfindlich bei Berührungen. Da fiel ihr ein, dass sie ihn da sogar eingecremt hatte. Wirklich, so fürsorglich kannte sich Yoko selbst nicht. Und sie schluckte den Gedanken einfach mit dem Bissen runter.
Dann sah sie ihn aber wieder an. „Angebot? Welches denn? Aber, hm… ich steh zu meinem Wort.“ Sie zuckte mit den Schultern. Und für ihr Gesagtes musste sie ja auch gerade stehen. Wo sie doch auf Wörter Wert legte.