Hotel 'Edelweiss'

Len schlief friedlich, wie so ein kleines Schäfchen. Manchmal drehte er sich und schnitt Grimassen, weil er irgendetwas träumte, an das er sich aber im Nachhinein nicht mehr erinnern konnte, sodass er schlussendlich total in seine Decke eingewickelt war und drohte, zu ersticken, weil sich das Ding um seinen Brustkorb schnürte. Von dieser Tatsache geweckt, schreckte er auf, fiel aus dem Bett und kämpfte auf dem Boden weiter. Als er es dann aber geschafft hatte, sich zu befreien, zog er sich mit den Händen zerzaust am Bett wieder hoch. Ein Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch zeigte ihm, dass er sowieso nur noch fünf Minuten geschlafen hätte, also war das kein Problem.
Sein Blick fiel auf Yokos Betthälfte. Yokos leere Betthälfte. Len schloss die Augen, zählte bis neunzehn und öffnete sie dann wieder. Yoko blieb verschwunden. Irritiert über diesen Fakt setzte er sich erst einmal hin und starrte aus dem Fenster. Oh, gutes Wetter! Na dann würde sich das mit dem Stadtbummel ja sogar als recht angenehm entpuppen. Doch was war jetzt mit Yoko? Im Zimmer war sie auf den ersten Blick jedenfalls nicht gewesen.
Vorsichtig kroch er in Richtung Bad und klopfte zaghaft an, nicht, dass sie ihn noch verprügelte, weil er zu laut war. Aber auch nach wiederholtem Rufen änderte sich nichts an dem Fakt, dass keiner reagierte. Das Hotelzimmer war, bis auf ihn, völlig ausgestorben. Das verunsicherte ihn – aber tierisch!
Was nun? Was war, wenn sie ganz weg war? Aber… Sachen waren noch da. Also… nun ja, sie würde ja nicht ohne ihre Sachen einfach abhauen, nicht?
Bestimmt war sie nur unten und ließ ihre schlechte Laune an dem Typen an der Rezeption aus… Es hieß: ruhig bleiben und abwarten. Mehr konnte er eh nicht tun. Ins Bad, duschen, herrichten, frisch machen, bla, was auch immer. Auf jeden Fall kam er frisch gestriegelt und in einem kuschligen, olivfarbenen Pullover und einer Jeans wieder aus dem Bad und widmete sich der harten Aufgabe, all seine Sachen zu sammeln und endlich auch mal seine Tasche zu sortieren. Neu, alt, versiegeln.
Dauerte nicht lang, schließlich war er sonst ganz ordentlich… Aber immer noch hatte er einen Haufen blutiger oder einfach nur extrem verdreckter Wäsche… Zum Glück hatte das Bad eine Waschmaschine! Die er auch gleich vollstopfte – achtete auf Weiß- und Buntwäsche.
Dann setzte er sich auf die Couch, zog die Beine an und kauerte herum. Hoffentlich ist sie nicht sauer… Hoffentlich ist sie nicht sauer… Hoffentlich ist sie nicht sauer… Warum sollte sie sauer sein?
Und dann klopfte es. Ihre Stimme! Fuah, sie war also wieder gekommen.
„Jo! Hast du den Schlüssel vergessen? Warte, ich mach dir auf…“ Also erhob er sich träge von der Couch, stiefelte zur Tür und öffnete.

Yoko musste keine drei Sekunden auf eine Antwort seinerseits warten. „Nicht direkt… Nur einfach nicht mitgenommen.“, erklärte sie ihm noch durch die Tür hindurch. Gerade war sie dabei sich über den Handrücken einmal zu lecken – da das Eis nun doch langsam von der Waffelversion schmolz – als die Tür endlich geöffnet wurde. „Guten Mor- hast du schlecht geschlafen?...“, fragte sie mit etwas Besorgnis in ihrer Stimme, als er so… komisch aussah. Sie wusste nicht, was es war, aber er schien glatt gerädert zu sein. Als hätte er am Tag zuvor ein paar Flaschen Wein getrunken.
„Ich wusste nicht, was dir lieber ist – Waffel, oder Becher?“, wechselte sie abrupt das Thema und hielt ihm lächelnd beide Versionen entgegen. „Die, die du nicht magst, nimm ich“, fügte sie noch an und legte den Kopf schräg. Konnte sie nur hoffen, dass die so okay waren. Konnte ja auch noch sein, dass er Eis immer nur in Glasschalen essen mochte! An das hatte sie noch gar nicht gedacht – verdammt.

Ihre Antwort nahm Len mit einem Nicken hin, was sich praktisch zwar als unnütz ergab (sie konnte es ja nicht sehen) und öffnete ihr schließlich die Tür, immerhin war das Ding ja nicht abgeschlossen und bei einer Klinke konnte man etwas ganz einfach aufmachen.
Sein Blick fiel gleich auf ihre Hände und das, was sich in ihren Händen befand – immerhin schleckte sie gerade einmal da lang, er konnte dementsprechend gar nicht woanders ansehen – und starrte sie dann relativ entgeistert an. Sie war also um sieben Uhr morgens zu einer Eisdiele gerannt und hatte Schokoladeneis besorgt. Aha. Und dafür hatte sie ihn so dermaßen zu Tode erschreckt?! Jedenfalls im ersten Moment war sein Herz stehen geblieben…
„Hm? Wieso? Eigentlich ging es… Nur schlecht aufgewacht“, erwiderte Len recht ausdruckslos und starrte erneut zu dem Eis, das sie mitgebracht hatte. Aber halt – warum fragte sie und warum klang sie, als hätte er einen Pfeil im Kopf stecken? Er hatte keinen abschließenden Blick in den Spiegel getan… Sah er aus wie eine Leiche?!
„Bei der Waffel muss man immer abbeißen und die sind meistens nicht so lecker… ich würde den Becher nehmen…“, sagte Len und starrte geistesabwesend zu dem Eis. Wenn es um Eis ging, war er schon immer recht… Hypnotisiert gewesen. Vor allem bei Schokolade. Ein prüfender, fragender Blick zu ihrem Gesicht hoch, dann nahm er den Becher mit einem breiten Grinsen und dankend an und suchte sich aus der Küche einen normalen Löffel. Er konnte die Plastikdinger nicht leiden.
„Danke… Warum um Gottes Willen bist du um sieben Eis holen gegangen? Wir haben nicht einmal gefrühstückt…“

„Du siehst gerade nur so… fertig aus“, gestand sie, schüttelte dann aber den Kopf. Es war doch alles gut, da musste sie sich jetzt einfach mal getäuscht haben. Es war doch alles gut, oder?
Jetzt sah er auch noch total abwesend aus und fixierte das Eis. Mochte er etwa jetzt noch kein Eis? Sie war doch recht verunsichert was die ganze Situation nun anging und war heilfroh, als er endlich doch etwas sagte. Sie selbst war auf die Waffeln auch nicht so scharf. Aber das würde schon mal wieder gehen. Ab und an konnte man das ja auch essen. Ein wenig irritiert sah sie ihm dann aber nach, als er in die Küche ging. Prinzipiell war sie gerade etwas neben der Spur und ihr fiel erst auf, dass sie noch wie angewurzelt im Flur stand, als sie Stimmen hinter sich hörte. Ein paar Gäste machten sich wohl gerade auf den Weg zum Frühstück unten. Sie schüttelte den Kopf und trat ein. Die Tür wurde hinter ihr wieder zugemacht und sie widmete sich schließlich dem schmelzenden Eis in ihren Händen. Leckte ein paar Mal an den Rändern, nahm es in die rechte Hand, um auch die andere wieder sauber zu bekommen und lehnte sich schließlich an die nächstbeste Wand an.
Sie hielt in ihrer Bewegung inne, als sie seinen vorwurfsvollen Ton wahrnahm. Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee gewesen ihn überraschen zu wollen? „Ich hab dir das Eis doch versprochen“, begann sie leise und sah auf das ihre hinab. Jetzt ja nur den direkten Blick meiden! „Und ich wollte mich noch einmal entschuldigen. Wegen gestern und… verzeih mir.“ Yoko hielt noch kurz inne, ehe sie wieder aufsah. Themawechsel. Ja, das würde nun das Beste sein! „Hey! Wir haben heute doch so viel vor – mit was beginnen wir? Einkaufen? Und schmeckt dir das Eis?“

„Hm…, okay“, brummte Len und nahm einfach mal hin, dass er gerade anscheinend ‚fertig aussah‘. Wenn er ehrlich war, war es auch nicht sonderlich erholt, was wahrscheinlich an den wirren Träumen lag, die er durchlebt hatte, aber an die er nun, nach dem Aufwachen, keine Erinnerung mehr hatte. Man konnte ja nicht alles im Leben haben.
Es war so lieb von Yoko, Eis zu holen. Er wäre mit ihr auch in eine Eisdiele gegangen, hätte sich dort brav mit ihr hingesetzt und vielleicht sogar einen Eisbecher spendiert. Aber so ging das natürlich auch, obwohl er sich nicht wirklich erklären konnte, aus welchem Grund sie das getan hatte. Vor allem in dieser Herrgottsfrühe… Wer kam da schon auf die Idee, Eis zu holen? Nicht, dass Len nicht rund um die Uhr Eis essen könnte – aber hey, es lag sicher an irgendeiner ihrer Launen. Vielleicht war es nach demselben Prinzip, wie bei Schwangeren… Die dann plötzlich Heißhunger auf Essiggurken bekamen. Aber er hatte keine Ahnung darüber, mit solch einem Zeug hatte er sich nie wirklich beschäftigt, weswegen er alles einfach schulterzuckend hinnahm.
Schließlich, nachdem er seine Gedankengänge beendet und einen Löffel geholt hatte, kehrte er zu ihr zurück und legte fragend den Kopf schräg. „Aber das bedeutet doch nicht, dass du früh aufstehen und zu einer Eisdiele rennen musst, wir haben doch alle Zeit der Welt“, sagte Len mit einem Lächeln und stocherte bereits mit seinem Löffel in dem schmelzenden Eis herum. Nach dem ersten Probieren verfiel er in einen Zuckerflash und musste auf schnellstmögliche Art so viel Eis wie möglich in sein Inneres schaufeln. Er liebte Schokoladeneis nämlich mindestens genauso sehr, wie sie.
„Du musst dich doch für nichts entschuldigen“, meinte er und bemühte sich um einen möglichst überraschten Tonfall. Da das Eis binnen Sekunden inhaliert war – er war selbst erstaunt und steckte seinen Löffel einmal in den leeren Becher – stellte er das Zeug in einem Atemzug mit dem eben Gesagten zur Seite, nur um dann zu ihr herüber zu gehen und sich direkt neben sie gegen die Wand zu lehnen. Ein bisschen Nähe wäre jetzt nett und würde Yoko bestimmt gut tun.
„Oh, ja. Erst der Hut. Vielleicht finden wir ja auch einen Friseur für mein Vogelnest da oben – und ja! Das war sehr lecker, vielen herzlichen Dank. Das war eine nette Überraschung.“

Irgendwo war sie recht froh, dass Len nicht weiter auf das Thema mit seinem Aussehen ging. Nicht, dass es deswegen noch zu einem Streit ausatmen würde. Er war ja eitel – so wie auch sie meistens.
Vielleicht aß Len ja wirklich das Eis immer lieber nur in einer Glasschale und mit normalem Löffel! Zumindest das letztere musste zutreffen. Sie hätte glatt noch früher aufstehen müssen, damit sie noch Zeit zum umfüllen gehabt hätte. Nun, für das nächste Mal wusste sie es wenigsten! „Sag mal… wann stehst du in der Regel eigentlich immer auf?“, fragte sie – dann konnte sie auf jeden Fall schon mal Pläne schmieden! Sie und planen… zu was er sie nicht alles brachte. [color=orangered
„Bin einfach nur schon aufgewacht. Kennst mich ja eigentlich, dass ich normalerweise länger schlafe und so“, [/color]versuchte sie ihm zu erklären. Denn geplant war es auf jeden Fall nicht gewesen, als sie heute so früh aufgewacht war und sich spontan dazu entschieden hatte.
Sie nickte kurz auf das Thema mit dem entschuldigen. War wohl besser so, wenn das nicht weiter ausgebaut werden würde und die Stimmung nur noch weiter unter den Nullpunkt zog. Außerdem schien er wirklich nicht so sauer auf sie zu sein. Dann musste sie sich wenigsten keine Vorwürfe machen, wenn sie wieder in das Schema fallen würde. So Stimmungsschwankungen waren ja alles andere als schön.
Yoko sah von ihrem Eis auf, als sie hörte, wie er seinen Becher abstellte und zu ihr rüber kam. Sie lächelte dünn, ehe sie auch wieder auf das Thema einstieg. „Richtig, der Hut! Und Kleidung für dich und mich, sodass das mal mehr oder weniger zusammenpasst, wenn wir später noch mal ein Foto machen, ne?“ Ja, darauf konnte sie sich schon richtig freuen! „Aber wieso willst du was mit deinen Haaren machen?“, fragte sie entgeistert nach, denn er liebte seine Haare doch! Und sie waren ja auch okay. Nun lächelte sie doch wieder breit. „Gern geschehen.“ Also freute er sich doch über das Eis! Dann hatte sie wenigsten etwas mal wieder richtig gemacht. Das konnte sie sich glatt in ihren nicht vorhandenen Kalender mit drei Kreuzchen rot markieren.
„Wobei ich wohl auch wieder zu einem Friseur müsste… die werden auch immer länger… nicht verwunderlich. Muss ja schon ewig her sein“, redete sie mehr mit sich selbst. Eigentlich hatte sie sich ihre Haare im Krankenhaus schneiden lassen. Aber das war ja nicht echt. Also musste es noch irgendwann vor ihrer zweiten Begegnung gewesen sein. Im Gemüsereich. Apropos Gemüsereich, sie musste ja noch unbedingt die Jutsu endlich üben. Das war glatt ärgerlich, dass sie nie dazu kam, aber andererseits… sie hatte ja Len, dann war ihr das auch irgendwo wieder egal – den sie übrigens gerade gern küssen würde, aber sie hatte ja immer noch das Eis in der Hand, das langsam aber sicher immer kleiner wurde. Händewaschen musste sie sich nachher auch noch. Grund, wieso sie die Becher eigentlich auch bevorzugte.

Nur bei ihrer Frage, hob Len den Kopf, schließlich war er ja zu dem Zeitpunkt noch total auf sein Eis fixiert gewesen. „Sieben. Nicht in der Regel, immer, es sei denn, irgendwer will mir ans Leder oder es brennt. Ja…, oder eben andere Naturkatastrophen. Wieso?“ Sie erntete einen weiteren, äußerst fragenden Blick. Wozu brauchte sie wohl diese Information? Vielleicht war es ja auch nur reine Neugierde… War ja auch durchaus möglich, dass sie einfach nur Interesse an seinem Leben zeigte – war doch nett!
„Hab ich dich vielleicht geweckt…?“, fragte er mit Anflug eines schlechten Gewissens. Er hatte ja nicht gerade sanft geschlummert, so, wie er am Ende aufgewacht war. Niemals hatte er still herumgelegen, sonst hätte er sich ja nicht so verheddert und verknotet und wäre auch nicht auf dem Boden wieder aufgewacht. Wenn er sie wirklich geweckt hatte… Dann war das irgendwie bitter. Len raubte ihr auf unangenehme Weise den Schlaf und sie zwang sich auch noch dazu, das gemütliche Häusle zu verlassen, um ihm einen Gefallen zu tun.
„Hoffentlich gibt es auch einen guten Hut hier. Ach… ja, meine Auswahl schrumpft immer weiter zusammen. Es kommt mir so vor, als hätte ich nur noch zwei Hosen, drei Pullis, eine Hand voll T-Shirts und ein funktionstüchtiges Hemd…“ Ein Seitenblick in Richtung Badezimmertür. Immer noch hämmerte die Waschmaschine ungehemmt, um die Trommel zu drehen und den Befehl, zu säubern, auszuführen. Es fiel ihm auf, dass er gar keine kurzen Hosen besaß. Vielleicht ein Grund, warum er in der Hitze der Wüste Kaze no Kunis fast krepiert wäre. Wenn die Maschine fertig war, zeigte sich, was davon noch gebrauchsfähig war.
„Und klar. Machen wir dann solche Spaß-Passfoto-Dinger? Die man sich ins Portemonnaie klemmen kann?“ Oder eher gesagt: Dorthin kleben, wo man es jeden Tag sah und immer ansehen konnte, selbst wenn man getrennt war, auch wenn Len hoffte, nicht allzu oft von ihr getrennt zu werden, schließlich hatte ihm das bisschen heute Morgen schon gereicht.
Ein Blick zu seinen Haaren. „Ich weiß nicht… Du schienst was gegen meinen Pony gehabt zu haben.“ Immerhin war sie damit dauerbeschäftigt, ihm verirrte Strähnen aus den Augen zu wischen. Das war Grund genug, um einen Friseur aufzusuchen und ganz vielleicht waren sie ihm schon ein Stückchen zu lang geworden… Zwar fiel so etwas bei einem Zopf nur schwer auf, aber er merkte schon, dass das schon mehr als schulterlang war.
Das war ja so eine Sache mit Yoko. Sie freute sich zu Tode darüber, dass er sich über das Eis gefreut hatte. Aber daran musste man sich wohl gewöhnen. Entweder es war dieses komische Verliebtsein, oder aber einfach nur eine ihrer Launen. Aber im Moment war es ja angenehm.
„Bring einfach ein bisschen Schnitt hinein, dann wirkt es besser“, kommentierte Len freimütig und riskierte wohl mal wieder den Arschvoll seines Lebens. Offene, bzw. eher versteckte, Kritik an ihr! Wie weit hatte er sich nur aus dem Fenster gelehnt… Er wollte nicht kopfüber hinaus fallen… Weswegen er ihr einen unsicheren Blick aus dem Augenwinkel zuwarf.

„Immer um sieben Uhr?“, fragte sie erstaunt nach, nickte aber anerkennend. Sie selbst wachte immer…. Irgendwann mal auf. Tja, wann sie eben ausgeschlafen war, was damit zusammenhing, was sie am Vortag alles gemacht hatte und wann sie denn mal ins Bett gegangen war. Wieder ein Unterschied bei ihnen. Aber er hatte sie ja gefragt, wieso. „Ah… nur so“, winkte sie ab, da sie ihm ja kaum sagen würde, was sie denn gerne vorhatte nachdem das erste Mal ein wenig… missglückt war.
„Hm? Nein, wie kommst du darauf?“, hakte sie stirnrunzelnd nach. Wenn sie wusste, dass sie sicher war – und sie vertraute Len ja voll und ganz – dann schlief sie eben wie ein Stein. Das einzige, was sie gemerkt hatte war, dass er sie nicht in seinen Armen gehalten hatte, wie er es ihr doch eigentlich versprochen hatte… „Bin wegen der Sonne aufgewacht. Die hat nämlich genau auf meinem Platz geschienen. Ach, und weil ich aufs Klo musste…“ Irgendwo war das Thema recht peinlich. Aber nun ja, sie hatten sich schon über so viele Sachen unterhalten, dann war so was doch auch drin.
Sie nickte. „Bestimmt. Ist ja eine große Stadt und ich bin schon an verdammt vielen Läden vorbeigelaufen vorhin.“ Sie grinste leicht. Sie selbst hatte viele Klamotten, da war sie eben doch irgendwo einfach eine Frau. Allein schon ihre ganze Unterwäsche und Schlafkleidungen – da fiel ihr auf: „Ach, hast du keine Unterwäsche mehr?“, witzelte sie und folgte für einen Moment seinem Blick in Richtung Bad. Erst jetzt hörte sie dieses gewisse Geräusch. „Wir haben hier eine Waschmaschine?“, fragte sie irritiert nach. Das wäre ja perfekt! Sie hatte ja auch so viele Sachen, die sie wieder waschen musste.
Um wieder in das Gespräch zu finden, schüttelte sie kurz den Kopf und grinste wieder. „Klar, wenn du willst. Da müssen wir wenigsten nicht perfekt auf einen Fotografen hören.“ So Fotografen konnten aber auch ganz schön anstrengend werden! Musste man immer perfekt den Kopf neigen und drehen und den Finger so, den anderen so halten.
„Was? Nein. Ich mag deine Haare so. Nur hab ich’s gern, wenn du mich auch wirklich ansehen kannst. Oder genauer gesagt ich dich. Sonst sind deine Augen ja hinter Haaren versteckt. Und… ich mag deine Augen doch so gern“, meinte sie lächelnd und widmete sich immer wieder brav ihrem Eis.
Wieder grinste sie und nickte. „Okay.“ Sie war ja froh, wenn er sagte, was sie an sich ändern könnte. Sie wollte ihm ja gefallen, wie sie ihm schon oft gesagt hatte. Die Spitze der Waffel verschwand in ihrem Mund und sie leckte sich noch einmal über die Finger, ehe sie in die Küche ging und sich dort die Hände wusch. Hatte sie nur vergessen, dass hier keine richtigen Handtücher waren, also wurden ihre Hände mal eben an ihrer Jeans trocken gestreift. Jetzt konnte sie ihn aber auch endlich anfassen!
Yoko kam wieder aus der Küche und sah zu ihm. „Haben wir nicht eigentlich ausgemacht, dass du oben ohne rumläufst, wenn wir allein sind?“, fragte sie breit grinsend und ging zu ihm rüber.

„Bis auf erwähnte Ausnahmen…“, nickte Len ab. Natürlich, er log sie bei so etwas doch nicht an, zumal er sie ja eigentlich überhaupt nicht anlügen wollte, also prinzipiell überhaupt nicht. Aber er war sowieso eine komische Person – wahrscheinlich wusste sein Körper, dass er diese wenigen, geregelten Dinge für seine Psyche brauchte, um wenigstens bei klarem Verstand bleiben zu können. Ihm fiel erst jetzt, wo er mit seinen ganzen Eigenartigen konfrontiert wurde, auf, wie belastet und verrückt er eigentlich durch sein gelinde gesagt behindertes Schicksal war, aber damit musste er leben. Und nicht nur er – Yoko musste wohl auch damit auskommen, dass er in gewissen Dingen völlig speziell war…
Ein Schulternzucken und das Thema war abgehakt. Und ebenso wie sie, erwiderte Len: „Nicht so wichtig…“ Na zumindest hatte sie nicht mitgekommen, dass er wie so ein kleines Kind in seiner Decke gehangen hatte. Das war ja etwas Positives, wenn man es denn so sehen mochte. Allerdings konnte er erleichtert ausatmen! Er war nicht schuld, also würde sie auch nicht böse sein können. Das war wirklich pure Erleichterung, er würde es nicht lang aushalten, sollte sie wieder auf ihm herumhacken.
„Wir werden sehen. Vielleicht sehen wir ja noch andere, interessante Läden – und tja… genau, ich werde wohl jetzt immer ohne Unterwäsche rumlaufen müssen… Nein, Quark. Für mich gilt das nicht wirklich als… ‚Klamotte‘. Ich habe schon dafür gesorgt, dass mir das Zeug nicht ausgeht… Außerdem haben meine Jeans den meisten Dreck abgefangen und glücklicherweise hast du in der Gegend nicht herumgeschnitten“, sagte Len trocken und widmete ihr einen schiefen Blick, bevor er allerdings recht neutral nickte. Ja. Hatten sie. Manchmal befand er rhetorische Fragen als äußerst sinnlos und sparte sich seine Antworten. Wenn es so ratterte, wie als würde eine Waschmaschine laufen…, dann war da bestimmt irgendwo eine Waschmaschine.
Dann lachte er und stimmte ihr zu: „Das ist richtig! Ich höre doch sowieso nur auf dich.“ Außerdem sah er nicht ein, warum er auf eine mickrige Person wie einen Fotografen hören sollte, zumal die immer einen Schweinegeld für die schäbigsten Bilder verlangten… Geld, das er vielleicht in Zukunft brauchte, um nicht zu verhungern.
Schweigend hörte der junge Mann sich an, was Yoko sagte und schmunzelte leicht. „Danke. Das bedeutet mir viel. Dann lasse ich es so, ja? Nur ein bisschen kürzen. Die Spitzen sind strapaziert durch den ganzen Stress…“ Ja. Er war eben ein Kerl, der seine Haare abgöttisch liebte und genau wusste, wann er Spliss hatte und seiner Haarpracht dementsprechend zu Leibe gerückt werden musste.
Dass sie ihn Leben ließ, erstaunte und beglückte ihn wohl gleichzeitig sehr. Sie nahm den Hinweis sogar an, ohne ein Widerwort! Sie wollte sich doch nicht wirklich wegen ihm ändern? Zwar nicht grundlegend, aber wenn ihr die Haare gefielen, wie sie waren, sollte sie doch so bleiben. Sie musste ja schließlich damit leben, nicht er.
Er verfolgte sie mit dem Blick und neigte den Kopf zur Seite. „Haben wir? Du sagtest nur, ich sollte möglichst mit offenem Hemd rumlaufen. Außerdem warst du ja gar nicht da! Ich hab mir Sorgen gemacht… und draußen ist recht gutes Wetter… Bei so einem Pulli muss ich dann gar keine Jacke mitschleppen.“

„Richtig… aber erstaunlich…“, murmelte sie. Würde sie glatt mal aufpassen werden, ob es stimmte. War doch… faszinierend. Was würde passieren, wenn sie am Vorabend heimlich die Uhr ein wenig verstellte? Moment… sie dachte gerade nicht ernsthaft über Experimente mit ihm nach – doch… Nun, sie verwarf diese Gedanken nun doch lieber wieder mit einem Kopfschütteln. „Also… du stehst auch um sieben Uhr auf, wenn du vorher erst um drei Uhr nachts ins Bett gegangen bist? Oder anderenfalls schon um acht Uhr abends?“ Da konnte sich der Blonde langsam richtig durchlöchert von einem kleinen Kind fühlen. Wohl doch noch etwas mit der Stimmung schwankend. Aber wenigsten war sie bisher noch fast normal geblieben. Nicht zickig, oder so depressiv, dass sie weinen musste.
Er schien ja nicht unbedingt darüber reden zu wollen. Was ihr angesichts ihrer Gründe, wieso sie so früh aufgewacht war, ganz recht und billig war.
Sie grinste vor sich her bei seinen Worten. „Würde es manche Sachen sogar einfacher machen“, erwiderte sie und zuckte mit den Schultern. Für sie war alles Klamotten, was man anziehen konnte. Auch Unterwäsche, oder Badeklamotten! Nun, Hüte würde sie nicht dazu zählen. Die Schuhe wohl auch nicht. „Herumgeschnitten?“, fragte sie stirnrunzelnd nach, als sie sich den Rest seiner Worte durch den Kopf gehen ließ. Sie kam gerade nicht wirklich darauf. Wann hätte sie denn an seinen Beinen rumschnippeln sollen? An die Kämpfe dachte sie einfach so nicht mehr direkt. Was man nicht alles verdrängen konnte, wenn man über beide Ohren verknallt war.
Die Waschmaschine war gut… Und auch war es gut, dass sie noch fünf Tage hier auf jeden Fall hatten. Dann würde sie garantiert auch zum waschen ihrer Kleidung kommen. Konnte sie mal wieder Sachen tragen, die sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr anhatte. Sachen, die sie wohl schon gar nicht mehr so richtig kannte.
„Und ich nur auf dich“, entgegnete sie ihm schnurrend, wie eine Katze. Hatte sie ja auch schon bewiesen, was Luigi und Yuma anging. Deren Meinungen zählten auch nicht wirklich bei ihrer Beziehung. Geschweige denn derer, die sie gar nicht wirklich kannte. Diese ganzen Fremden, die wohl recht skeptisch waren, wenn sie bemerkten, dass sie… verkehrt herum alt waren und zusammen waren. War der Mann fünf Jahre älter, gab es nie ein solches Geschau.
Yoko lachte kurz, als sie ihn so über seine Haare reden hat hören. Wie eine Frau! Was sie sich aber mal lieber verkniff. Reichte ja schon von damals, dass sie ihn immer als eine sie bezeichnet hatte. Was sie nun so wirklich nicht mehr behaupten konnte. Sie wusste ja nun, was er so konnte… und hatte.
„Jetzt bin ich aber da und werde auch nicht so schnell wieder weg sein und… Hemd… Pullover… ist doch egal“, meinte sie breit grinsend und lehnte sich schließlich an ihn, als sie direkt vor ihm stand. Umarmen ging gerade ein wenig schlechter, da er ja an einer Wand lehnte. „Und Sorgen brauchst du dir nun auch keine mehr machen, ja?“, sagte sie leise und küsste ihn anschließend sanft. Sie hatte ja wirklich Entzug. Entzug von seinen Lippen. Von seinen Küssen.

So erstaunlich fand Len es nicht, immerhin war er es ja gewohnt. Andere Leute, wie Yoko, die einfach schliefen, wie sie brauchten, waren das eben nicht gewohnt, weswegen es dann auch außergewöhnlich wurde… Nun ja, damit musste man leben. Wie mit so vielen, anderen Dingen auch.
„Schätze schon, jedenfalls habe ich bisher keine bedeutenden Abweichungen bemerkt“, antwortete Len brav, wie ein Lehrer, der seine fragende Schulklasse vor sich hatte. Die mussten ja auch Geduld haben, wenn die neugierigen Kids ein neues, spannendes Thema bekommen hatten und sich darüber ausgehend informieren mussten, um eine gewisse Grundkenntnis aufzuweisen.
„Grins nicht so dreckig…“, merkte er an, obwohl es ihn glatt ansteckte und er leise lachen musste. Verstohlen und fast schon heimlich, als müsste er sich darüber schämen…
„Na da und da hast du mich so ziemlich aufgeschnitten“, sagte Len, vielleicht etwas überrascht, da Yoko schien, als würde sie sich daran gar nicht erinnern – und zeigte dabei einmal auf seine Brust, knapp unterhalb der rechten Schulter und einmal auf seine Seite. Beides war zwar dank Hilfe gut verheilt, aber Fakt war, dass es nun einmal geschehen war! „Aber da sind nur Oberhemden drauf gegangen. Keine Unterwäsche. Weswegen die auch ziemlich gut in meiner Tasche vertreten ist.“
Aber das Thema war ihm eigentlich zu blöd, weswegen ihm das mit den Fotos viel eher interessierte und gefangen nahm. Es wäre doch tatsächlich schön, ein Foto voneinander mit sich zu tragen, das an den Anfang erinnerte! Also warum nicht? „Na, dann sind wir uns ja einig“, meinte Len abschließend. Es war gut, wenn man einander vertraute und sich nicht von anderen hereinreden ließ. Das überzeugte ihn nur noch mehr davon, dass sie zusammen gehörten! Egal, was Andere sagten. Es gab ja auch sehr Alte, die auf extrem Junge standen, also warum sollte er sich nicht eine fünf Jahre ältere Frau gönnen, die ihn rundum glücklich stimmte?
Dass Yoko über sein Haarbewusstsein lachte, war ihm ja irgendwo klar gewesen… Aber im Endeffekt wäre es wohl gerade noch okay, sollte sie ihn weiterhin als Mädchen bezeichnen. Er könnte es ihr verzeihen. Solange sie ihn nur weiter so liebte, wie bisher, war alles in Butter!
„Ach, ist dem so?“, hakte er nach. „Aber jetzt lohnt es sich nicht mehr, das Ding auszuziehen, tut mir leid.“ Eigentlich ja nicht wirklich, immerhin mochte er den Pulli, denn er war kuschlig und weich! Aber er wollte Yoko ja nicht allzu sehr enttäuschen.
Im Gegensatz zu ihr hatte Len ja genügend Armfreiheit, weswegen er diese auch nutzte, allerdings nicht, um sie wie ein Klammeräffchen an sich zu drücken, nein, er war so frei, seine Hände einfach an ihren Seiten hinab zu ihren Hüften gleiten zu lassen, wo sie auch ihren Ruheplatz fanden.
„Nein, mache ich nicht mehr. Versprochen. Jetzt kann ich ja auf dich aufpassen, Schnucki.“ Und es war wie eine pure Erleichterung, ihre weichen, vollen Lippen wieder auf seinen zu spüren, vereint in diesem sanften Kuss… Len seufzte auf und küsste anschließend noch einmal ihre Wange.
„Geh nicht einfach mehr so weg, ja? Leg zumindest einen Zettel hin, wo du hingehst… Das war wirklich ein Schock, das kannst du dir gar nicht vorstellen…“

„Hmhm~ Wirklich interessant…", meinte sie wieder mehr zu sich selbst. Also das würde sie sich auf jeden Fall merken! Irgendwann würde ihr diese Information ganz bestimmt noch weiter helfen. Zum Beispiel, wenn sie früher als er aufwachen sollte, damit sie wusste, wie lang sie noch zu warten hatte, wenn sie ihn nicht wecken wollte.
Als er sagte, sie solle nicht so grinsen, musste sie nur noch mehr grinsen! Vor allem, weil er es ja auch nicht so ernst zu meinen schien nach seiner Reaktion hin. „Darfst du mir einfach keinen Grund dafür geben“, sagte sie deshalb. Wobei schon seine bloße Anwesenheit und ein paar Tagträumchen dazu führen würden, dass sie dreckig grinsen konnte. So war nun einmal das Leben! Das Leben mit ihm, versteht sich.
Sie hörte ihm zu und erinnerte sich dann wieder. „Ah… aah… ja…“, meinte sie leise und es plagte sie tatsächlich wieder ihr Gewissen. Einige Angriffe hätte sie sich wirklich sparen können im Nachhinein. Dann hätte es ihn nicht so hart erwischt. Sie sog scharf die Luft ein. „Hab ich wohl schon verdrängt und so… tut mir leid.“ Sie entschuldigte und bedankte sich in letzter Zeit ja wirklich richtig oft. Zeugte wohl auch von Einsicht ihrerseits, dass sie eben schon so einiges falsch gemacht hatte, oder auch einfach glücklich war ihn z u haben. Sie nickte zum Schluss noch. Schon eigenartig, dass sich ein witziges Thema wieder so ausweiten konnte.
Glücklich war sie darüber, dass er nun doch wirklich nichts mehr gegen ein Foto zu haben schien! Aber es wäre doch wirklich eine schöne Erinnerung, wie sie schon sagte – oder auch nicht. Wenn sie es sich in ein paar Jahren mal ansehen würde, würde sie ja sagen können: Da war sie noch jung! Und zu diesem Zeitpunkt würde sie wirklich noch älter sein. Konnte man die Zeit nicht irgendwie zum stehen bringen?
„Schon… wir sollten ja langsam mal losgehen, nicht? Heute Abend kannst du ihn ja dann immer noch ausziehen“, meinte sie wieder grinsend. Wobei es sich da wohl wirklich nur auf kuscheln und ähnlichem belaufen würde. Regelschmerzen waren schon ätzend…
Nun musste sie doch auch kurz lachen. „Nenn mich noch einmal so, Schatz“, meinte sie dann. Aber seine Worte waren schön. Allein deshalb, wenn er meinte, er würde auf sie aufpassen. Das war… einfach etwas anderes. Bedeutendes. Da hatte er sich den Kuss glatt noch mehr verdient.
Auf seine folgenden Worte nickte sie stumm. Also war es sogar eine berechtigte Aussage gewesen, dass er recht fertig aussah und, dass er wohl enttäuscht war. „Versprochen“, meinte sie nach einer Weile und lehnte sich noch einmal, mit dem Gesicht in seinem Pullover vergraben, an ihn. Seine Wärme nur noch einen kurzen Moment spüren zu können. Das war alles, was sie gerade noch wollte.
Als sie wieder aufsah, ging sie einen Schritt zurück. „Dann setzen wir unsere Pläne mal in die Tat um, ne?“

[Anfang wird wegrationalisiert. Ich nehme an, dass sie sich ein bisschen weiterbekibbelt haben und Len irgendetwas in die Richtung ~ Ach! Du hast dich doch schon so oft entschuldigt, ich bin darüber doch schon hinweg und finde es im Nachhinein sogar schon lustig! ~ Gesagt hat. Bla. Bla. Stellt euch einfach vor, wie sie weiter den Scheiß labern.]

„Der frühe Vogel fängt den Wurm“, stimmte Len ihr freimütig zu, zwar fiel ihm kurz darauf ein, dass es mal wieder ein Sprichwort war - aber hey! Verstehen tat Yoko diese ja, nur war sie in der Anwendung noch etwas wacklig auf den Beinen, wie so ein kleines, frisch geborenes Kalb. Seine Freundin mit einer glitschigen Kuh zu vergleichen, war komisch, weswegen er geistesabwesend den Kopf schüttelte, um wieder zu sich zu finden.
„Ich kann ihn auch jetzt ausziehen und so mit dir rausgehen. Aber dann wirst du wieder eifersüchtig, ne?“ Er piekte ihr einmal sacht in die Seite und grinste Yoko an. Vielleicht war es nicht das angebrachteste, so etwas zu sagen, schließlich hatte er alles daran gelegt, dass sie bloß nicht nur in Unterwäsche in die Lobby ging… Da fiel ihm auf – vielleicht waren sie ja wirklich in der Zeitung gelandet! Wäre köstlich. Ganz sicher waren sie jetzt die Kumogakurer Perversen und stadtbekannt. Allein der Gedanke brachte ihn zum Grinsen.
Len lächelte schief. „Meinst ‚Schnucki‘, Schnucki? Sorry, ich bin gerade beim Spitznamen austesten. Schatz ist so stereotypisch“, erklärte er sich. War ja auch logisch! Spitznamen hatten etwas, was von einer innigen Beziehung sprach. Nicht umsonst hatten viele Freunde unter sich Spitznamen, die andere Menschen im Leben nicht hörten. Das war sozusagen ein Beweis, dass man den anderen mochte!
Ihre Gedanken versuchte er einfach mal zu ignorieren. Zwar ließ es ihn wieder dieses warme Gefühl durchströmen, dass sie so friedliche Gedanken hegte, dass sie es mochte ‚beschützt‘ zu werden, auch wenn er darin wahrscheinlich die größte Niete wäre. Aber noch mehr wollte er das mit enttäuscht, vor allem aber das ‚fertig aussehen‘ ignorieren. Man musste nicht dazu sagen, dass er mit den Ausdrücken nicht zufrieden war.
„Danke“, sagte Len leise und schloss Yoko nun doch noch einmal richtig in die Arme, doch kaum rührte sie sich, ließ er sie natürlich los, auch wenn er sogleich ihre Anwesenheit vermisste. Er konnte sogar ihre Körperwärme ein wenig nachglühen fühlen.
„Mh-hm, sonst werden wir ja nie fertig. Nehmen wir die Treppe?“, fragte er vorsichtshalber, aber nicht wirklich ernst gemeint, nach. Doch ohne auf eine Antwort zu warten, holte er seine Tasche, zog den Schlüssel aus dem inneren Schlüsselloch und öffnete die Tür, um das Schild einzuholen. Mochte die Putzfrau doch fein-fein aufräumen gehen. Er dachte dieses Mal sogar an seine Schuhe und wartete dann vor der Tür. Vielleicht wollte Yoko ja noch irgendetwas einpacken… oder das Bad besuchen… Oder was auch immer.

Yoko legte ihre Stirn in Falten, beließ es aber einfach mal mit einem Nicken. Solche komischen Sachen sollte sie wohl einfach lernen hinzunehmen… Obwohl ja Eulen und alles erst nachtaktiv waren und eher keine Würmer fraßen.
Da war das nächste Thema so, sooo viel klarer und verständlicher für die junge Frau. „Wie recht du hast“, schnurrte sie mit einem anschließenden Quieken, als er ihr in die Seite piekte. „Wofür habe ich das nun verdient?“, fragte sie wieder grinsend und fuhr mit einer Hand unter seinen Pullover. Fuhr mit dem Nagel ihres Zeigefinger über seinen Körper. Gerade so, dass er es deutlich spüren dürfte, allerdings keine rote Bahnen hinter sich mitzog.
„Nichts, wofür du dich entschuldigen brauchst, Hasi Pupsi Bärli“, erwiderte sie und brach in schallendes Gelächter aus, sodass sie sich auch schon mal halbwegs von ihm lösen musste. Das war aber doch auch zu köstlich! Gut, es war auch niedlich, aber trotzdem auch verdammt komisch. So etwas hatte sie wirklich noch nie zu hören bekommen. Zumindest nie ernst gemeint. Das machte das ganze schon wieder recht einmalig. Einzigartig, wenn es von ihm kam. War es aber auch bei jedem Wort wieder, das von ihm kam, weshalb sie sich auch wieder einkriegte und ihm einen Kuss auf die Wange gab. Nicht, dass er noch wieder sauer auf sie werden würde.
„Gern geschehen“, antwortete sie ihm lächelnd und erwiderte die richtige Umarmung. War aber auch mal wieder Zeit geworden, dass er sie richtig in seine Arme schloss! Aber sie mussten ja auch langsam mal in die Gänge kommen, sonst würde es heute nichts mehr werden. Wobei, was sprach eigentlich dagegen? Sie wollten ja noch einige Tage hier bleiben. Aber dann hätten sie auch wieder Zeit für andere Dinge, was auch immer ihnen noch so einfallen würde.
„Klar, oder die Außenwand. Der Fahrstuhl war vorhin noch außer Betrieb“, meinte sie schulterzuckend und nutzte die Zeit, in der er sich fertig machte für… ja, für was wohl? Raten? Richtig, sie ging wieder aufs Klo und kam genau richtig wieder heraus, als Len vor der Tür stand und wartete. Sie selbst war ja noch ganz angezogen. Inclusive Schuhe, da sie ja vorhin erst draußen war. Portemonnaie in der Hosentasche. Übrigens hatte sie eine kurze Jeans, Sandaletten und ein rotes Top an. Bei dem Wetter war es aber auch gar nicht so abwegig. Es hatte geschüttet in Strömen die letzten Tage, nun wieder starke Sonne. Da war es eben schwül. Zumindest empfand sie so. Sie war gespannt, wie er es in dem Pullover aushalten würde.
Die Utsukushi trat zu ihm raus und zog die Tür hinter sich ins Schloss, ehe sie in Richtung Treppen loslief und dort wieder auf ihn wartete.

„Tja, mal ganz davon abgesehen, dass ich immer Recht habe“, erwiderte Len in einem möglichst arrogant klingendem Tonfall, „ist das ganz offensichtlich zu erkennen. Du hast diesen zerfleischenden Teufelsblick, wenn uns auch nur ein Mädchen in meiner Altersklasse begegnet.“ Natürlich meinte er es nicht wirklich ernst, was auch eindeutig an seiner Stimmlage zu erkennen war. Aber ein bisschen triezen gehörte nun einmal zu ihrem Alltag. Von alten, eingelaufenen Schuhen trennte man sich eben nur ungern.
„Frag nicht, ich pieke öfter Dinge, die interessant oder niedlich sind“, antwortete er wahrheitsgemäß. Als Kind hatte er oft mitten auf dem Weg Halt gemacht, um mit einem Stock gegen die unterschiedlichsten Dinge zu pieken. (Selbst anfassen? Niemals! Wer wusste schon, wo die Nacktschnecke mit ihrem Glibber schon überall gewesen war?) Kaum, dass er ihre Hand unter seinem Oberteil fühlte, seufzte er auf, konnte aber selbst nicht sagen, ob es eher genervt oder wohlig gewesen war. Er musste sich gleich vorbeugen, um sie erneut zu küssen, vielleicht, damit er sich wieder in den Griff bekam, nutzte aber die Gunst der Stunde, in der sie abgelenkt war, um ihren Arm zu ergreifen und sich sozusagen von der sanften Kratzattacke zu befreien.
„Du musst dich gar nicht über mich lustig machen“, klagte Len kurz darauf. Ihre Spitznamen waren so lächerlich und gar nicht ernst gemeint! Dabei war es doch ein ernstes Thema… Er brauchte dringend einen möglichst einzigartigen Namen, mit welchem er sie betiteln konnte, ohne dass tausend andere Leute um sie herumliefen und dasselbe sagten. Das war voll die Lebensaufgabe und gar nicht einfach! Jedoch ließ er sich schnell wieder beruhigen. Er war eben einfach zufriedenzustellen, wenn sie etwas tat.
„Du bist so niedlich“, murmelte er und küsste ihren Nacken, kaum dass er sie wieder in seinen Armen hielt. War manchmal gar nicht einfach, schließlich waren ihre Haare doch ein bisschen länger geworden und man musste sich immer erst durch eine sanfte Handbewegung überhaupt den Platz erkämpfen.
„Ich bin für die Treppe, weniger Aufmerksamkeit“, meinte er. War doch so! Sie hatten durch ihre lächerliche Aktion gestern eindeutig auf sich aufmerksam gemacht, dabei sollte man doch möglichst inkognito bleiben!
Draußen wartete er auf sie – aber kaum dass er sie erblickt hatte, stürmte sie auch an ihm vorbei. Er hatte eine Hand erhoben und den Mund geöffnet, kam aber nicht dazu, irgendetwas zu sagen. Also ging er ihr nur kopfschüttelnd nach, um sie dann auf Höhe der Treppe wieder einzuholen.

„Hast du?“, stellte sie infrage und grinste. „Stimmt, hast du.“ Hatte er ja auch eigentlich. Zumindest öfter als sie, wenn man Dinge logisch, oder auch einfach nur normal betrachtete. „Und zu recht! Weißt du was für Blicke, die dir teilweise zuwerfen?“, entgegnete sie ihm und zog einen Schmollmund. War doch auch so! Er sah eben doch recht gut aus – auch wenn sie das erst um einiges später bemerkt hatte.
Yoko legte fragend ihren Kopf schräg. „Und was bin ich dann? Niedlich, oder interessant?“ Na, das wollte sie dann doch schon ganz gerne wissen, wenn er so etwas in den Raum stellte.
„W-Würde ich nie tun!“, winkte sie noch recht lachend ab, ehe sie sich wieder gefangen hatte. „Sei mir nicht böse, ja? Es ist nur irgendwie… anders“, versuchte sie ihn mit einem sanften Lächeln wieder zu beruhigen.
Ein wenig überrascht erwiderte sie seine Geste, indem sie ihren Kopf weiter seitlich legte. Wieder durchströmte sie so ein warmes Glücksgefühl, als sie seine Lippen auf ihrer Haut spürte. Doch es interessierte sie brennend, was er nun damit schon wieder meinte. „Wieso bin ich nun niedlich?“
Nun richteten sie sich aber auch schon her, um endlich nach draußen zu gehen. Als er auf der Treppe zu ihr angeschlossen hatte ergriff sie schließlich wieder seine Hand, um loszugehen. So eine Treppe war ja zwischendurch auch immer okay. Verbrauchte auch mehr Kalorien, als wenn sie die Wand runter gegangen wäre. Und sie hatte ja auch zwei Kugeln Schokoladeneis gegessen! Da musste man schon auch wieder etwas tun.

Er nickte fleißig. „Klar!“ Aber da hatte Yoko es auch schon bestätigt. Len gab einen zufriedenen, schnurrenden Ton von sich. Er mochte es, wenn sie ihm zustimmte, ihm Komplimente machte und so nett zu ihm war. Aber wer mochte das nicht?
„Nicht wirklich, was für welche? Ich gucke die ja nicht an, weil ich darauf fixiert bin, dich anzusehen“, erwiderte er darauf ehrlich. Im Moment konnte er wirklich kaum die Augen von ihr abwenden, aber das lag wohl an dieser anfänglichen Zeit der Verliebtheit. Es gab niemand Besseren für einen selbst, als genau diesen Menschen, wenn man über beide Ohren verknallt war und man sah nicht ein, dass es möglicherweise doch Nachteile gab.
„Beides!“, hauchte er und zwinkerte ihr zu. War doch so. Eine interessante Persönlichkeit, manchmal urst niedlich in ihrem Verhalten. Also kombinierte es sich zu einem äußerst faszinierenden Cocktail, das ihn anlockte, wie das Licht die Motten.
„Ich bin dir doch nie böse, Liebste“, sagte er schnell. Vielleicht hatte er ja eben wirklich viel zu beleidigt geklungen. Aber naja, sie lachte ja, also war sie nicht sauer oder so etwas… Wäre ja nicht so unwahrscheinlich, bei ihren Stimmungsschwankungen. Heute war sie aber noch ganz angenehm! Vielleicht gab es ja Tage, an denen nur äußerst gute Launen hervorbrachen und umgekehrt auch Tage, an denen nur schlechte aufkamen?
„Keine Ahnung, ich mag dich halt“, antwortete Len mit einem schiefen Grinsen. Sie war halt niedlich. Sollte sie es einfach hinnehmen und nicht danach fragen. Und bloß nicht in Frage stellen. Sonst gab’s Tote. Er war ein herrlich ehrlicher Mensch, wenn es um Personen ging, die ihm nahe standen. Nur zu seiner Fassade gehörte ein persistentes Lügen.
Kaum hatte er sie aufgeholt, nahm sie wieder seine Hand und er lächelte unwillkürlich. Es war schön, mit ihr Hand in Hand zu gehen. Es signalisierte, dass sie zusammen gehörten und glücklich miteinander waren. Es zeigte, dass man Sperrgebiet auf dem großen Partnermarkt war.
„Hör auf mit dem Kalorienzeug…“, sagte er leise, während er zu den Stufen schaute, um nicht zu stolpern, „…du brauchst die jetzt, nach diesen anstrengenden Tagen. Sonst fliegst du beim nächsten Windstoß weg und ich kann dich nicht mehr wiederfinden.“

„Hmmmm solche, wie wenn sie dich ganz gern nur für sich hätten. Am besten ohne Kleidung bei Kerzenschein“, antwortete sie nach einer gewissen Zeit der Überlegung. „Aber nicht so wichtig. Der Rest der Welt ist uns doch egal haben wir festgestellt“, murmelte sie und schenkte ihm wieder ein Lächeln.
‚Beides‘ – das war wohl die beste Antwort, die er ihr hatte geben können, weshalb sie auch nichts mehr darauf sagte, als noch einen Kuss auf seine Lippen. Eben doch süchtig, wie auch er es schon oftmals gesagt hatte.
„Ich mag dich auch“, erwiderte sie wieder mit einem Lächeln auf den Lippen. Nun, sie selbst hatte ihn ja auch schon als süß und niedlich bezeichnet. Und mögen tat sie ihn auch! Sie liebte ihn sogar. Aber sie hatte es sich ja vorgenommen nun doch wieder etwas sparsamer damit umzugehen. Es nicht zu jeder Gelegenheit zu sagen. Eben nur noch bei besonderen Gelegenheiten.
Sie kratzte sich mit der freien Hand an der Wange und sah demonstrativ in eine andere Richtung. „Ah…hm…“, antwortete sie und hörte ihm weiter zu. „Anstrengende Tage? Also letztendlich waren sie doch ganz gut. Ausschlafen konnten wir bei unserer Ankunft auch schon wieder richtig und weißt du wie unwahrscheinlich das wäre, dass ich wegfliege? Ein Katzenbaby fliegt auch nicht so mir nichts dir nichts davon. Aber gut… gehen wir die Tage noch Kuchen essen? Fette Kalorienbombe! Und ich mag Süßes“, meinte die Utsukushi breit grinsend und drückte seine Hand kurz ein wenig fester. Dass er sich nicht weiter Sorgen um sie machen sollte, was das anging.

„Oh, solche Blicke? Wie geil eigentlich. Ich bin beliebt!“, rief er zufrieden aus, bevor er sich ein bisschen duckte und ein entschuldigendes Lächeln aufsetzte. „Warum wirfst du mir solche Blicke nicht zu? Du dürfest das wenigstens. Aber ja. Der Rest der Welt ist egal.“ Eigentlich ja nicht. Er fand es großartig, wenn Leute ihn mochten. Hatte er ja nun einmal nicht oft in seinem Leben gehabt, da man ihn vor allem früher immer für ein Mädchen hielt. Jetzt wurde er halt ein bisschen maskuliner und ansehnlicher! Und dann durfte er es nicht auskosten… Würde Yoko seine Gedanken kennen, würde sie ihn wahrscheinlich schlagen. Also schön den Mund halten und um sein Leben schweigen.
Aber Mund halten war leicht, schließlich bekam er noch einen Kuss, den er noch ein bisschen auskosten musste, indem er sich selbst noch einmal neigte, um ihre Lippen ja nicht zu verlieren, selbst als sie sich bereits wieder abwenden wollte.
„Du bist so herrlich, Yoko. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich sonst sagen soll“, meinte Len grinsend, aber es stimmte. Er würde sie mit Komplimenten überhäufen, wären diese nicht alle zu schwach, wenn es nach ihm ginge. Sie war so… so perfekt in seinen Augen. So wunderschön und… süß. Einfach nur toll. Sie zu verlieren wäre neben den Verlust Rins der schwerste Augenblick in seinem Leben.
Aber nun ja, ihr Gespräch verlagerte sich dann ja auf die Treppe. Im dritten Stock angekommen antwortete sie ihm sogar. Er lächelte schief und meinte: „Lass mich. Ich will doch nur, dass es dir gut geht, ja? Aber Kuchen klingt gut. Ich liebe Süßkram. Eine Donauwelle wäre genau das Richtige…“

„Ich sollte dich vor der Außenwelt in einen Keller versteckt einsperren“, meinte sie darauf, was natürlich nicht allzu ernst gemeint war. Nur… ein bisschen. Immerhin hing sie an ihm und hatte ihn ja zu ihrem Eigentum auserkoren. Da durfte niemand anderes mehr ran!
„Tu ich das nicht? Stimmt wohl. Ich werfe dir andere Blicke zu“, antwortete sie ihm grinsend. Bisher hatte sie ihn sich halt noch nie bei Kerzenschein vorgestellt. Hatte sie sowieso noch nie wirklich gehabt. Da war sie einfach anders veranlagt; mit anderen Vorlieben bestückt.
„So kussdurstig?“, fragte Yoko nachdem sie von ihm wieder losgekommen war. Immerhin war er sogar noch extra mit ihr mitgegangen. Dabei hatte sie ihn vorhin auch erst kurz geküsst. War ja glatt schlimmer als sie – und das mochte etwas heißen!
„Dann schweige lieber. Ist doch mit Gold vergleichbar, oder so“, erinnerte sie sich an dieses Sprichwort, auch wenn der genaue Laut ihr nicht ganz zurückkommen wollte. Wobei auch sie sich natürlich über die Komplimente freute. Jedes einzelne, das er ihr machte. Selbst wenn sie es teilweise gar nicht merkte, dass es eins war. Hauptsache er sprach mit ihr in einem netten Ton! – Jetzt kam sie sich vor wie ein kleines Kind, wenn sie solche Gedanken hegte.
Der erste Stockwerk war endlich hinter sich gelassen und der nächste konnte aufgenommen werden. „Donauwelle für dich, Schwarzwälderkirschtorte für mich“, antwortete sie grinsend. Natürlich nicht ohne diese gewissen Hintergedanken. Richtig, in so einem Kuchen war ja immer Kirschlikör… Alkohol! Hatte sie ja schon recht lange keinen mehr.

„Ich sage nicht nein, wenn du dir etwas wünschst. Allerdings will ich da unten ganz sicher nicht allein sein. Also entweder du gibst mir was zur Bespaßung oder du musst leider Gottes mit in den Keller“, sagte Len, ebenso provokant und grinste sie an. Es hatte alles eine gewisse Atmosphäre, wie er feststellte. Sie standen so nah aneinander gedrängt und flüsterten fast, so leise, wie sie sprachen. Sie ärgerten sich ein wenig, hegten aber eindeutige Gedanken – er gehörte nur ihr. Sie gehörte nur ihm. Dafür sprach doch schon die Nähe zwischen ihnen.
„Nein“, bekräftigte er gespielt beleidigt und legte dann fragend den Kopf schräg. „Ach so? Und wie definierst du deine Blicke? Nur so aus Neugierde natürlich.“ Frauen kamen ja oft auf dieselbe Definition, jedenfalls redete er sich das ein. Und er wollte nun einmal wissen, was sich der Rest dachte, wenn er sie so zusammen sah. Wenn er sah, wie sie sich gegenseitig anblickten.
Er lächelte sie sanft an und etwas Weiches schlich sich in seinen Blick. Ja. Das war Liebe. Noch nie hatte er es so kräftig gespürt, wie in diesem Moment. „Ich könnte dich den ganzen Tag küssen...“, erwiderte Len. Na und?! Dann war er eben schlimmer als sie! Aber er fuhr total auf dieses Gefühl ab, das sie in ihm auslöste, wenn sie ihn berührte, die Gänsehaut, wenn er ihren Atem fühlte, den Geschmack ihrer Lippen…
Das fehlte ihm. Das hatte ihm vor allem nach ihrer Laune gestern Abend gefehlt. Jetzt war es doch nicht verwerflich, wenn er ein wenig nachholen wollte, was ihm zustand? Da half ‚vorhin ein kurzer Kuss‘ nicht!
„Sehr gut“, meinte er mit Anerkennung in der Stimme. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Aber woher willst du dann wissen, wie sehr ich dich vergöttere, wenn ich es nicht ausspreche? Dieses Sprichwort ist doch total daneben.“
Man konnte ja nicht alles mögen.
Auf Hälfte der nächsten Treppe führten sie ihr Gespräch also weiter. „Nun, Hauptsache ein bisschen Schokolade, nicht? Ich hoffe die Donauwelle ist mit Schokolade und Vanillepudding in der Mitte.“
Er ignorierte einfach mal, dass sie diese spezielle Torte nur wegen dem Alkohol wollte. Wenn er sowieso schon dabei war, ihr Blumen zu kaufen, dann konnte er ja gleich auch noch ein bisschen was Prickelndes für sie mitbesorgen. Vielleicht wurde sie dann ja friedlich und das trotz der Schmerzen, die sie wohl im Moment durchlitt.

Yoko hob eine Braue. „Ich stell dir eine Badewanne und ein Quietscheentchen zur Verfügung“, antwortete sie schließlich und streckte ihm frech die Zunge raus. Natürlich konnte auch so eine Badewanne ein ganz netter Ort, für ganz nette Dinge sein. Musste sie nur groß genug sein. Hintergedanken for the win! Und mit dem Entchen konnte er ja spielen, wenn sie mal weg war.
„Lass mich überlegen…“, begann sie und legte eine dramatische Denkpause ein. „Ach, ich überlasse das einfach mal deiner Phantasie, wie du meine Blicke interpretierst“, antwortete sie ihm lachend und zwinkerte ihm vielsagend zu. Tja… hatte er mal was zum Nachdenken. So etwas verriet man als Frau aber auch nicht! Zumal sie sich ehrlich gesagt teilweise selbst nicht so sicher war, wie sie ihn ansah. Mal so, mal so und dann wieder so.
„Ich dich doch auch…“, flüsterte sie ihm zu. Natürlich fehlten auch ihr seine Lippen. Seine Wärme. Kurzum auch einfach sein ganzer Körper, wo der Tag gestern schlecht begonnen hatte mit einem folgend wunderschönen Nachmittag und dann dieser unschöne Abend. Dabei wollte sie doch eigentlich mit ihm die Nacht durchmachen. Da musste sie glatt resigniert aufseufzen. Aber sie wollte nun auch nicht in was wäre wenn Situationen verfallen, die sie nicht mehr ändern konnte. Sie musste heute einfach das Beste aus dem Tag rausholen. Wie aus jedem, bei dem sie dieses unsagbare Glück hatte mit ihm zusammen zu sein. Diese Zeit musste sie einfach auskosten so gut es eben ging.
Ein breites Grinsen schlich sich über ihre Lippen, als er sie doch tatsächlich lobte, was dieses…dieses dumme Zeug anging! „Stimmt ja, ich kann ja keine Gedanken lesen… aber du könntest sie mir ja schicken. Aber nein, das hatten wir ja schon mal. Sag so viel du willst, Darling.“ Ein ernster erster Versuch ihrerseits ihn mit einem nicht ganz so geläufigen Spitznamen anzusprechen. Viele sagten Liebling, aber Darling war dann schon wieder etwas anderes, da es von einer anderen Sprache kam. Vor allem mit zusätzlich japanischen Akzent.
„Gibt es denn verschiedene Donauwellen?“, fragte sie entgeistert nach. Sie musste zugeben, dass sie noch nie eine hatte. Geschweige denn wusste, was da genau drin war. Nun, sehen würde sie die auf jeden Fall mal, wenn es sie denn auch hier gab.

Einen Moment dachte er tatsächlich über die Vorstellung nach, in einem dunklen, feuchten Kellerloch zu stecken, mit nur einer Badewanne und einem Quietschentchen. Ob er es aushalten würde, hing wohl davon ab, ob das Wasser erneuert, also wieder warm, werden durfte und ob er auch etwas zu Essen bekam. Ob es eine Lichtquelle gab, genügend frische Luft und andere sanitäre Anlagen. Len schüttelte den Kopf.
„Nö. Solltest du einen psychischen Anfall haben und es wirklich probieren, würde ich nur unglücklich werden, fliehen und dich wohl verlassen müssen.“ Er warf ihr einen ‚Also-lass-es-verdammt-nochmal-sein-Blick‘ zu.
Er schüttelte den Kopf erneut. „Ich habe mir nie großartig Gedanken darüber gemacht, wie mich Leute ansehen. Also wenn du es mir nicht verrätst, bleibt es eben geheim. Außerdem könnte ich eh nur Hypothesen aufstellen und es würde mir nichts nützen, da ich es nicht in einem Experiment nachprüfen könnte.“ Höchstphilosophisch ausgedrückt, aber im Prinzip ganz simpel. Er hatte keinen Bock drauf, da großartig drüber nachzudenken. Sollte sie ihn doch ansehen, wie sie wollte.
„Ach ja? Wir sollten uns einmal im Monat so einen Tag gönnen und überprüfen, ob das auch wirklich stimmt“, meinte Len und ein amüsiertes Grinsen schlich sich auf seine Lippen, bevor er ihr noch einen kurzen, zärtlichen Kuss auf die Lippen hauchte.
[MEGAMAN! MEGAMAN!!]
„Beschwer dich nicht, ich kann mich ja auch nicht unsichtbar machen“, grummelte er und hätte wohl die Arme vor der Brust verschränkt, würde er nicht Hand in Hand mit ihr die Treppen hinunterlaufen. Und wieder einmal musste er feststellen, dass der vierte Stock doch relativ weit oben war.
„Und reden werde ich den ganzen Tag, wenn es dein Wunsch ist! Ich erinnere mich noch daran, als du so furchtbar deprimiert warst, weil ich schwieg.“ Danach hatte sie aber geschwiegen und es hatte ihn halb verrückt werden lassen. Dementsprechend war den ganzen Tag reden sehr viel angenehmer.
Er kratzte sich am Kopf. „Es gibt ja von jedem Kuchen dutzende Varianten… Bei Donauwellen… Nun ja, je nach Vorliebe eben. Manchmal ist nur Sahne und eine Fruchtcreme drin, manchmal eben Pudding und Schokolade… Die ich bevorzuge.“

Eine Mischung von entsetzen, dass er wirklich glaubte, sie würde so etwas tun und aus… noch mehr entsetzen, weil er es so ernst sagen konnte sie deshalb verlassen zu können, schlich sich über ihr Gesicht. Deshalb sagte sie auch nichts mehr darauf. Wahrscheinlich auch aus Angst es womöglich noch schlimmer zu machen. Wenn das denn gerade noch möglich war.
„A-hm…“, murmelte sie noch recht abwesend. „Ich schätze… dass ich dich so ansehe, dass ich mir wünsche, dass du bei mir bleibst“, antwortete sie etwas verspätet und schenkte ihm ein dünnes Lächeln. Sie sollte endlich mal lernen, wo die Grenze war, die sie nicht weiter überschreiten durfte. Es war glatt so, wie bei ihren Eltern damals. Man musste eben seine Grenzen austesten, nur gab es in einer Beziehung eben härtere Konsequenzen, als Hausarrest, oder gestrichenes Taschengeld.
„Nun, dann gibt es immer etwas, worauf man sich besonders freuen kann, wenn ein neues Monat beginnt“, antwortete sie noch recht nüchtern, ehe sie seine Lippen wieder auf den ihren spürte. Da fühlte sie sich gleich viel besser. Wenn er sie küsste, musste das doch heißen, dass er nicht mehr allzu sauer auf sie war, oder? Nur leider war er so kurz. Dieses Mal war sie diejenige, die ihn gerne noch sehr viel länger bei sich gespürt hätte.
Yoko runzelte die Stirn. „Vielleicht könntest du es doch. Für viele Fähigkeiten gibt es ähnliche Jutsu. Wobei man auf die erst mal kommen muss und sie ausreifen lassen muss.“ Selbst, wenn es letztendlich dann eine Lebensaufgabe war.
„Erinner mich nicht daran. Das war eine schreckliche Erfahrung, muss ich zugeben. Aber den ganzen Tag braucht man auch nicht reden. Sonst werden wir ja noch wieder heiser. Apropos heiser… singen – du hast mir immer noch nicht das Lied beigebracht“, fiel ihr da wieder schmollend ein. Sie konnte ja nicht wissen, dass er es ihr ja sogar schon alles aufgeschrieben hatte, als sie am Morgen weg war.
Sie nickte beiläufig. „Aber warum ist das eigentlich so? Warum hat es denselben Namen, ist dann aber etwas ganz anderes? Ich meine, man könnte die ja sonst auch anders nennen und so“, sprudelte es förmlich aus ihr heraus mit Fragen, die ihn durchlöchern wollten.
„Aber hoffen wir mal, dass dein Wunsch dann in Erfüllung geht. Sonst… backen wir uns einfach einen eigenen!“ Sie war miserabel im backen, wie auch im kochen. Aber zusammen würde man alles schon irgendwie hinbekommen.

Das einzige, was ihm gerade durch den Kopf schoss, als er ihren Gesichtsausdruck entziffert hatte – war ja nicht allzu schwierig, immerhin stand ihr das Entsetzen ins Gesicht geschrieben -, war ein recht zerknirschtes: Gnh. Ob er sich wohl entschuldigen sollte? Aber er konnte sich doch nicht für etwas entschuldigen, was er erst meinte, oder…? Nun ja, aber dran glauben, dass sie ihn wirklich in einen Keller sperren würde, tat er dann doch nicht. Dazu war selbst sie noch nicht durchgeknallt genug.
„Tz, tatsächlich? Das ist voll der überflüssige Blick“, meinte er darauf und fügte dann mit einem Grinsen hinzu: „Wozu etwas wünschen, was du sowieso schon hast?“ Er streichelte ihr einmal beruhigend über den Kopf und lächelte entschuldigend. „Kopf hoch, nicht traurig sein.“
Ihre Gedanken verwirrten ihn ein wenig. Grenzen austesten? Nun, wie sie meinte. Ein Vergleich zwischen ihm und ihren Eltern kam ihm zwar suspekt vor, aber er wollte auf so etwas ganz sicher nicht reagieren.
„Dann ist es beschlossene Sache?“, fragte Len leise, schließlich musste er sich kurz darauf ja küssen. Das war ja auch sehr viel interessanter und wichtiger…! Es ließ ihn schmunzeln, dass sie nun diejenige war, die nach weiteren Küssen hungerte. – Aber sie hatten ja nun losgemusst.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er sie an und hörte ihr zu, während sie versuchte, ihm irgendetwas nahe zu bringen. „Möchte ich dafür mein Leben vergeuden, wenn ich mich einfach nur an dich klammern bräuchte, damit du uns beide unsichtbar machst?“ Die Tatsache, dass er wahrscheinlich gar nicht so lange bräuchte, weil er ein natürliches Verständnis für etwaige Ninjutsu hatte, verschwieg er. Er wollte ihr ja schließlich wieder irgendetwas zusprechen, was sie sehr viel besser konnte, als er, damit sie sich gut fühlte.
„Im Prinzip ist es derselbe Kuchen… Ich meine – kennst du JellyBellys? Die sind immer dieselben mit derselben Form, tragen denselben Namen nur mit verschiedenen Inhaltsstoffen, die Farbe und Geschmack regulieren. Aber was weiß ich! Ich weiß doch nicht alles… Vor allem nichts, was mit Kuchen zu tun hat…“ So irrelevante Dinge – da hatte er eben nur schleierhaft Ahnung von.
Er blieb stehen und schüttelte schnell und hektisch den Kopf.
„Ne-he-hein! Das kannst du mir nicht antun! Ich.. ich kann nicht backen! Ich jage die Welt in die Luft, oder zumindest das Zimmer! Das geht nicht!“